Rückseitig Bleistiftzeichnung einer Landschaft
Werkverzeichnis Lenz/Billeter 2008 Nr. W 1938/25
Expertise: Registriert im Hans Purrmann Archiv unter der Nr. 2152
Nach seinem Studium in Karlsruhe und München zieht es Hans Purrmann im Jahr 1904
zunächst nach Berlin und von dort weiter nach Paris, dem Zentrum der modernen Kunst der
damaligen Zeit. In Paris liefern ihm insbesondere der enge Kontakt zu Henri Matisse und
dessen Gefährten sowie die intensive Auseinandersetzung mit dem Werk Paul Cezannes
entscheidende Impulse für sein eigenes künstlerisches Schaffen.
Vom Kriegsausbruch 1914 bis in die 1930er Jahre lebt und arbeitet Purrmann in Stuttgart,
Berlin und Langenargen am Bodensee. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wird
auch die Kunst Purrmanns als „entartet“ diffamiert. Seine Gemälde und Papierarbeiten werden
aus öffentlichen Sammlungen entfernt und ein freies Arbeiten in seinem Heimatland ist fortan
nicht mehr möglich. Purrmann siedelt auf der Suche nach einer neuen Wirkungsstätte nach
Italien über, wo er 1935 die Verwaltung der Deutschen Künstlerstiftung Villa Romana in
Florenz übernimmt.
Auf zahlreichen Reisen u.a. nach Siena, Trient, Venedig und Montagnola entdeckt Purrmann in
den folgenden Jahren die Schönheit der südlichen Landschaft und der darin eingebetteten,
malerischen Orte. Die Vegetation und die regionale Architektur werden zu seinen bevorzugten
Motiven, die er vorrangig in kolorierten Zeichnungen und Aquarellen festhält. 1938 zieht es
ihn in den idyllischen Küstenort Castiglioncello, dessen reich bepflanzte Gärten und
prachtvolle Villen er auf dem Papier festhält: Mal entstehen flüchtig angelegte Werke
skizzenhaften Charakters, mal detailliert ausgeführte präzise Darstellungen. Unser Aquarell
„Villa mit Balkon und Markisen (Castiglioncello)“ zeigt eine herrschaftliche Villa, halb versteckt
zwischen blühenden Büschen und Bäumen. Die grünen Fensterläden sind in der Mittagshitze
ganz oder halb geschlossen und über der Veranda im ersten Stock spannen sich
schattenspendende Markisen. Von der Begrenzung der Anlage gibt die wuchernde, üppige
Bepflanzung lediglich zwei Pfeiler preis, die ein kunstvoll-filigranes Gartentor halten, das auf
die reizvollen architektonischen Details des Hauses Bezug nimmt. Eine begrenzende Mauer
oder ein Zaun sind hinter der Vegetation nicht mehr erkennbar. Vegetation und Architektur
stehen einander im vorliegenden Werk – wie so häufig in Purrmanns italienischen Arbeiten
dieser Zeit – gleichwertig gegenüber. Zum einen kommt hier sein ausgeprägtes Interesse an
der Baukunst zum Tragen. Zum anderen nutzt Purrmann die geraden Linien der klar
begrenzten Architekturen, um den weniger kontrollierten, organischen Formen der Vegetation
Halt zu geben. Auf diese Weise erzielt er eine klare Bildkomposition, ohne die überbordende
Vegetation nebensächlich werden zu lassen. Während sich jenes Zusammenspiel aus Natur
und Zivilisation als Konstante durch das in Italien entstandene Werk zieht, zeigt sich
Purrmann hinsichtlich seiner Arbeitsweise umso experimentierfreudiger. Häufig setzt er
dasselbe Motiv mehrmals und aus sehr unterschiedlichen Perspektiven um. So zeugt die
blattfüllende Bleistiftskizze der Villa in Castiglioncello auf der Rückseite davon, dass Purrmann
das dargestellte Haus aus unterschiedlichen Perspektiven mit schnellem aber sehr gekonntem
Strich einzufangen versuchte. Den jeweils gelungensten Versuch scheint er dann
aquarellierend fortgeführt zu haben. Der azurblaue Himmel, das helle Rosé der Fassade und
das weitgehend auf sanfte Pastelltöne beschränkte Kolorit der Pflanzen lassen das flirrende
südliche Licht und die mittägliche Hitze in der vorliegenden Darstellung fast körperlich
spürbar werden. Die Szene erscheint leicht und anmutig, auch weil Purrmann diese auflockert,
indem er den umlaufenden Blattrand teilweise frei lässt. Christian Lenz erläutert diese
Vorgehensweise treffend: „Die zugrunde liegende Zeichnung ist unter der aufgetragenen
Farbe nicht mehr in allen Fällen sichtbar, in manchen aber hat Purrmann sie […] bei etlichen
seiner Aquarelle auch im Endstadium mit der Farbe zusammenwirken lassen. So oder so ist
sie wichtig, weil sie dem Aquarell ein Gerüst gibt, Stabilität gegen die flüssige Farbe und weil
sie nicht nur die Großformen, sondern auch mancherlei Details festlegt.“ Er bemerkt
weiterhin, dass „Hans Purrmann die Zeichnung nicht penibel ausmalt, sondern mit der Farbe
locker darüber geht und sich in manchen Partien frei von ihr macht […]“. Auch in unserem
Aquarell „Villa mit Balkon und Markisen (Castiglioncello)“ setzt der Künstler die
Bleistiftzeichnung nicht als lediglich vorbereitenden Schritt ein, sondern stellt sie dem Aquarell
gleichwertig gegenüber. Sie stellt ein besonders gelungenes Beispiel für die typische
Arbeitsweise Purrmanns dar, fügen sich die lavierten Flächen, die gezielt gesetzten kräftigen
Pinselstriche und die filigranen Bleistiftlinien doch zu einem äußerst harmonischen und
zugleich lebhaften Dialog zusammen.