Werkverzeichnis Lenz/Billeter 2004 Nr. 1940/02
Mit Unterrichtsstunden in Karlsruhe und Studien an der Münchner Kunstakademie legt Purrmann
den Grundstein für sein künstlerisches Schaffen und kommt dabei schon frühzeitig mit modernen
Strömungen und Tendenzen der zeitgenössischen Kunst in Berührung. Nach Abschluss seines
Studiums in München zieht es ihn im Jahre 1904 zunächst nach Berlin und von da aus weiter nach
Paris, dem zur damaligen Zeit bedeutendsten Zentrum der modernen Kunst. Dort vermittelt ihm
insbesondere der Kontakt zu Henri Matisse und dessen Gefährten entscheidende Impulse für sein
eigenes künstlerisches Schaffen. Wichtige Anregungen bieten ihm zudem die Kunstprinzipien von
Paul Cézanne, die er in einer eigenständigen, an der Natur orientierten Synthese aus Form und
Farbe kraftvoll umsetzt. Vom Kriegsausbruch 1914 während eines Aufenthaltes in Beilstein
überrascht, verliert Purrmann sein Atelier in Paris und muss nach Deutschland zurückkehren.
Wegen einer Behinderung vom Kriegsdienst ausgemustert, lässt er sich nach einer Zwischenstation
in Stuttgart schließlich in Berlin nieder. Hier hält er sich auch nach dem Kauf eines Hauses in
Langenargen am Bodensee zu Beginn der zwanziger Jahre immer wieder auf. Die Entwicklungen in
Deutschland seit der Machtübernahme der Nationalsozialisten in den frühen dreißiger Jahren
bringen Purrmann, dessen Kunst fortan als entartet gilt, in große Bedrängnis: Ausstellungen sind
nahezu unmöglich, der Verkauf seiner Bilder wird ihm untersagt. Dadurch der Lebensgrundlage
beraubt, sieht er sich gezwungen, sein Heimatland erneut zu verlassen. 1935 übernimmt Purrmann
daher die ehrenamtliche Leitung der Villa Romana in Florenz, jenes 1905 von Max Klinger und dem
Deutschen Künstlerbund gestiftete Atelierhaus, welches, als staatlich unabhängige Wirkungsstätte,
ein Forum für deutsche Künstler in Florenz darstellt.1) „Damit komme ich aus Berlin und dem
fruchtlosen Streit. […] Dann sind wir wieder freie Menschen wie früher und können unbesorgt über
Kunst und Leben reden, die Sache von außen ansehen“2), begreift Purrmann den Ortswechsel als
einzige Chance seine künstlerische Arbeit fortzusetzen. Ganz so frei und unbeschwert, wie gedacht,
gestaltet sich das Leben für den Künstler zwar auch in Italien nicht – während eines Florenz-
Aufenthaltes von Hitler, wird Purrmann kurzeitig in Schutzhaft genommen und ins Gefängnis
gesteckt - , dennoch bekommt er hier eine Wohnung und ein Atelier zur Verfügung gestellt, wo er
sich seiner Kunst widmen kann.
Nur wenige Schritte von seiner neuen Wohnstätte, der Villa Romana entfernt, liegt an der Via
Senese die kleine Villa della Pera, die Purrmann in unserem Gemälde aus dem Jahre 1940 zum
Bildgegenstand wählt. In einer leichten Steigung führt im Vordergrund eine angeschnitten
dargestellte Straße entlang zweier Gebäude. Stattlich thront die Villa della Pera mit dem
angrenzenden Wirtschafthaus von Palmen und Laubbäumen umgeben auf einer kleinen Anhöhe.
Während der Palazzo einen verschlossen Eindruck vermittelt - nur ein einzelnes Fenster ist geöffnet
und weist damit auf Bewohner hin -, ist die Straße von mehreren Menschen bevölkert. Im Schatten
der das Grundstück eingrenzenden Steinmauer gehen sie beschwingten Schrittes die Straße
entlang. Das festliche und an den Lokalfarben orientierte Kolorit fängt das warme Licht der Stadt in
der Toskana ein: Unter dem strahlend blauen Himmel, an dem nur einzelne kleine Schleierwolken
vorüber ziehen, breitet sich die südländische Stadtszenerie in ihrer lebendigen, schillernden
Farbenpracht aus.
Purrmann ist ein sensitiver und am Visuellen orientierte Künstler, er malt das, was er sieht und
empfindet: „Sie werden niemals finden, dass ich gegen die abstrakte Malerei bin. Ich habe sehr viel
davon gelernt, aber selber suche ich das Gelernte vor der Natur zu intensivieren. Ich habe leider
meine Grenzen, und die Malerei ist eine verteufelte Sache. Das Bild muss eine Ordnung
repräsentieren. Die Grenze zwischen Natur und Bild zu finden ist das wichtigste. [...] Die Arbeit ist
es, die Zeugnis davon ablegt, was einer gefühlt hat.“3) Purrmanns Bilder sind daher keine Abbilder
des Gesehenen, sondern immer auch Ausdruck eines prägenden Erlebnisses.