Ein Exemplar der Edition befindet sich im Museum of Modern Art, New York
Mit einer Farbpistole statt mit dem Pinsel schafft Katharina Grosse Objekte, Bilder und
Räume, die von der unmittelbaren und sinnlichen Wirkung der Farbe bestimmt sind. Die
ersten gesprühten Arbeiten entstehen Ende der 1990er Jahre und skizzieren zugleich die
Überschreitung der Bildfläche in den architektonischen Raum. »Ich finde, dass ein Bild
überall landen kann, auf dem Baum oder einem Stück Stein in der Straße. Ein Bild kann überall sein, das ist so wahnsinnig frei und ungebunden vom Ort, und mich fasziniert
unheimlich auszuprobieren, wie unwegsam die Oberfläche sein kann, auf der Malerei
stattfinden kann.«1 So werden Oberflächen von Wänden, Landschaften und
Gegenständen zum Malgrund – die Dreidimensionalität wird zur Fläche. Während des
Entstehungsprozesses spielt der Zufall eine große Rolle. Leuchtende und grelle
Farbpartikel werden in der Luft zerstäubt und setzen sich auf dem Malgrund ab, ohne
dass die Künstlerin diesen Prozess lenkt. Die farbintensiven Arbeiten zeugen vom Einfluss
der amerikanischen Farbfeldmalerei, dem abstrakten Expressionismus, der Land Art
sowie von den Werken ihres Lehrers Gotthard Graubner, bei dem sie an der Düsseldorfer
Kunstakademie studiert hat. Die in Berlin lebende und inzwischen auch an der
Kunstakademie Düsseldorf lehrende Künstlerin löst die Grenzen der konventionellen
Malerei auf und hinterfragt die Möglichkeiten des im letzten Jahrhundert so oft
totgesagten Genres. Der grob behauene Marmorblock schimmert je nach Ansicht und
Lichteinfall in vielfachen Farben. Grelle orangefarbene Farbpartikel werden überlagert von
zarten und zum Teil auch kräftigen Lila-Tönen. An anderer Stelle fließen grüne und blaue
Acrylfarben ineinander, strukturiert durch die Kanten, die das Gestein bildet. Der aus den
Steinbrüchen von Carrara in der nördlichen Toskana stammende Marmor wurde bereits in
der Bildhauerkunst der Antike verwendet. In der Renaissance verhalf Michelangelo dem
»weißen Gold« zu weltweiter Berühmtheit. Grosse verdeckt die Oberfläche des Marmors
jedoch mit ihrem Farbauftrag und lenkt den Blick somit weg von der als besonders
hochwertig wahrgenommen Marmoroberfläche auf die skulpturalen Qualitäten des
Natursteins im gebrochenen Zustand. Grosses Interesse gilt vorrangig der Wirkung von
Farbe unter Einbezug von Licht und Schatten auf dem zerklüfteten Objekt. Die vollflächig
aufgetragene Acrylfarbe veranlasst den Betrachter dazu, die rätselhafte Struktur der
Überlagerungen, das Davor und Dahinter zu entziffern. Der artifiziell anmutende »Rock«
veranschaulicht die Veränderbarkeit der Materialität durch Farbe und lotet die
scheinbaren Gegensätze zwischen Natürlichkeit und Künstlichkeit, Realität und Illusion,
Malerei und Bildhauerei, Fläche und Dreidimensionalität aus.
1 Freunde von Freunden, »Katharina Grosse«, Video, Berlin 2014, youtube:
https://www.youtube.com/watch?v=8JsPtVXu8gc