In der bereits zweiten Einzelausstellung von Anna Krammig zeigt die Galerie Andreas Binder unter dem Titel All das andre ist jetzt, jetzt, jetzt neue Arbeiten der Meisterschülerin von Professorin Karin Kneffel.
Wie schon in Anna Krammigs früheren Werken, steht auch im Mittelpunkt der Gemälde dieser Ausstellung nicht allein das gegenständliche Motiv. Vielmehr wird in Anna Krammigs Kunst der räumlich und zeitlich begrenzte, flüchtige Ausschnitt eines Geschehens zum eigentlichen Bildinhalt. Seien es Schatten von Bäumen auf Häuserwänden, Spuren von Menschen im Innenraum oder zuletzt auch Spiegelungen unter Wasser, stets versucht die Künstlerin das Flüchtige und nur schwer Fassbare auf der Leinwand festzuhalten. Dieses Anliegen spiegelt sich auch in ihrer, bei aller handwerklichen Präzision und Raffinesse, stets oszillierenden Malerei wider.
Anna Krammig spielt dabei mit dem bildnerischer Repräsentation inhärenten Charakteristikum der grundlegenden Abwesenheit des Dargestellten im Bild. Erst die Absenz des Repräsentierten ermöglicht dessen Darstellung. Indem Anna Krammig nun Spuren zum eigentlichen Motiv legt, schafft sie einen durch die Interaktion zwischen Bild und Betrachter entstehenden Raum der Präsenz.
All das andre ist jetzt, jetzt, jetzt wird so fast zur programmatischen Anleitung für die Rezeption einer Kunst, die im Spiel mit Licht, Schatten, Flächen und Raumtiefen, zur Projektionsfläche der Gedanken und Assoziationen des Rezipienten selbst wird und so das Einfangen der eigenen Gegenwart im Bild ermöglicht.
Parallelen zur poststrukturalistischen Literaturtheorie, die den Fähigkeiten des Lesers eine hohe Bedeutung im Prozess der Sinnstiftung beimisst, sind dabei kein Zufall. So ist nicht nur der Ausstellungstitel einem Gedicht von Tomas Tranströmer* entliehen, auch die Künstlerin selbst beschäftigt sich schon seit längerem mit der Verwandtschaft von Literatur und Malerei, zuletzt im Rahmen ihrer Masterarbeit, die sie in diesem Jahr in Zürich präsentierte.
Was also ist all das andre? Wenn all das andre jetzt ist, dann findet die eigentliche Wirklichkeit im Moment der Betrachtung von Stillleben und Spuren von Leben statt. Das Einfangen der Gegenwart, an dem das Abbild aufgrund seiner Funktion als Repräsentant des nicht-Präsenten eigentlich scheitern muss, gelingt Krammigs Werken, indem sie die Blicke auf das offensichtlich Verborgene lenken und in ihnen so einen Raum für das Jetzt entstehen lassen.
(*Tomas Tranströmer, Dezemberabend `72, in: Sämtliche Gedichte, (Edition Akzente) Carl Hanser Verlag München 1997, S. 130)
PALME (Auszug aus dem Notizbuch von Anna Krammig)
Ich stehe vor einer Wand.
Schatten liegen darauf.
Das Panorama im Rücken.
Ich sehe es, ohne das Gesicht hinzuwenden.
Dazwischen.
Vorstellung und Wirklichkeit treffen sich auf
meinen Schultern.