Barbara Ellmerer - Bio - Fiction
Vernissage 27. Oktober 2011, 18-20 Uhr
Ausstellung 28. Oktober 2011 - 23. Dezember 2011
Zartrosa Blütenblätter spreizen sich zwischen Blattwerk in lichtem Grün. Eine freundliche Naturidylle scheint Barbara Ellmerers Ölgemälde Lengua den Betrachtenden zu bieten, wären da nicht die unteren Partien des Bildes, in denen das, was eben noch Blüte zu sein schien, an ein monströses Insekt erinnert, das jeden Moment aus dem Bild zu springen droht. Auf verwirrende Weise verbindet Barbara Ellmerer das Verlockende mit dem Bedrohlichen und gestaltet Motive, die sich eindeutiger Erkennbarkeit und Erklärbarkeit entziehen.
Trotz floraler Anmutung haben die Motive Barbara Ellmerers eine irritierende, oft aggressive Komponente. Der romantische Gestus, mit dem Künstler heute wieder in die Natur hinaussehen, um dort einen Resonanzraum eigener Gefühle und Phantasien zu suchen, liegt ihr fern. Die in Zürich lebende Künstlerin, Jahrgang 1956, bezeichnet die Pflanzenwelt gar als Vorwand, um die inneren Kräfte der Natur, die energetische Substanz des Lebens auf die Leinwand bringen zu können. Im Sinne der Kunstphilosophie von Gilles Deleuze interessiert die naturwissenschaftlich belesene Künstlerin sich für Malerei als „reinem Kraftquantum“ und Farbe gewordener Intensität. Der französische Poststrukturalist Deleuze propagierte ein Denken, das Unvereinbarkeiten zulassen und die Komplexität und Pluralität der Wirklichkeit wiedergeben sollte. Für die Malerei forderte er eine Befreiung von reproduktiven, nacherzählenden Gesten. Durch Abstraktion sollte die Macht, die Deleuze in der Malerei als Potenz angelegt sah, entfesselt werden. Barbara Ellmerer zeigt in ihren Bildern, wie diese Kraft gerade dort wirksam werden kann, wo die Malerei den Darstellungsmodus des Figurativen berührt.
Dabei entwickeln Barbara Ellmerers Arbeiten, partienweise mit pastosem Farbauftrag gestaltet, zuweilen haptische Qualitäten. In dem Bild Dragona etwa sind schuppenförmigen Blättern in grellem Pink dicke orangegelbe Lichtkleckse aufgesetzt, die den Betrachtenden wie verlangende Flammen oder Zungen entgegen lecken. Klug nutzt die Künstlerin die Eigenenergiewerte der Farben, indem sie kraftvolle Töne hart konturiert gegeneinanderstellt und erzeugt so eine starke visuelle Reibung. In ihren jüngsten Arbeiten verwendet Barbara Ellmerer auch weiche Farbverläufe. In Globulus scheinen minzgrüne Blätter sich in einem dämmerig violetten Hintergrund aufzulösen. Das Motiv, das an extrem vergrösserte Details einer unbestimmten Pflanze erinnert, wirkt, als könne es jeden Moment in der Farbe verschwinden.
Die energetische Intensität der Bilder ergibt sich vor allem durch das Heranzoomen des Objekts. Der Blick der Künstlerin ist mikroskopisch nah; er verzerrt das Motiv ins Fremde und durchdringt die Oberfläche, fokussiert die Vitalität unter der Hülle. Barbara Ellmerer widersetzt sich mit ihrer Malerei an der Grenze zwischen Figuration und reinem Farbakt dem menschlichen Bedürfnis, die Umwelt zu erkennen, zu benennen und zu beherrschen. Sie betreibt eine konsequente Malerei der Verunsicherung, die den Betrachter zwingt, seine Wahrnehmung zu hinterfragen. In älteren Werkgruppen reizte Ellmerer die Fähigkeit des menschlichen Gehirns aus, lückenhafte Bildinformationen sinnvoll zu ergänzen, indem sie verschwindend blasse Gesichter malte, die nur ein Minimum an Details boten. In ihren Arbeiten der Serie Bio-Fiction hingegen torpediert Barbara Ellmerer die Betrachtenden mit Bildern, die trotz des kräftigen Farbauftrags kaum Auskunft über das Gezeigte geben. Mit dieser Verweigerung verwertbarer Informationen verweisen die Arbeiten auf jene Kräfte des Lebens, die sich dem menschlichen Bemühen nach Erkenntnis, nach Entdeckung von Sinnhaftigkeit entziehen. Wie fremd die Natur dem Menschen sein kann, das macht Barbara Ellmerer deutlich.
Alice Henkes
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Barbara Ellmerer: Bio - Fiction
Opening 27 October 2011, 18-20 p.m.
Exhibition 28 October 2011 - 23 December 2011
Pale pink petals emerge from pale green foliage. Lengua, an oil painting by Swiss artist Barbara Ellmerer (born in 1956, lives in Zurich) seems to show a pleasant view of nature – if it weren’t for the inferior parts of the flower that appear to belong to a monstrous insect threatening to leap from the frame. Ellmerer’s mysterious images combine enticement and menace; they elude unequivocal identification and interpretation.
Floral allusions notwithstanding, many of her subjects have an irritating, even aggressive component. Her eye is very different from the romantic gaze that many contemporary artists are again casting on nature in search of resonance with their own emotions and fantasies. She even calls vegetation a pretext to enable her to transfer the inner force of nature – an energetic life substance – to her canvases. With a sound background in science, Ellmerer is concerned with painting as a “quantum of pure force”, transforming intensity into colour in the sense of Gilles Deleuze, the French post-structuralist philosopher. He advocated the acceptance of incompatibilities, an attitude that reflects reality’s complexity and diversity. Deleuze called for painting to do away with reproduction and re-telling, considering it to be the embodiment of a force, of a potency that needs to be set free through abstraction. As Ellmerer’s works demonstrate, the force becomes most effective where figurative and abstract modes overlap and interact.
Where Ellmerer has decided to apply a pastose layer of paint, her paintings are imbued with tactile qualities. In Dragona, for example, fat orange-yellow flecks of light on scaley, garish pink petals reach out for the viewer like sensual flames or tongues. The artist uses the colours’ energetic values intelligently, contrasting stark tones and harsh contours to produce strong visual friction. In her most recent works, however, she also employs subtle hues. Take Globulus, for example, with its crepuscular, mauve background: mint-green leaves evoking the extremely magnified details of a generic plant appear to merge with the ground and may vanish at a moment’s notice.
The energetic intensity of these images chiefly results from the artist’s zooming in on her subject matter. Her eye is like a microscope, distorting and alienating what we see, penetrating the surface to focus on the vitality beneath. Exploring the boundary between figuration and pure colouristic gesture, these paintings refuse to satisfy a human need to recognise, name and control the environment. Ellmerer’s paintings consistently undercut our expectations, forcing us to question our perception. In earlier groups of works representing extremely pale faces with the barest of details, she explored the ability of the human brain to make sense of incomplete visual input. In her Bio-Fiction series, however, the artist torpedoes us with images that, despite their strong colours, give very little away. By refusing to provide any kind of useful information, these works allude to the forces of life that elude human endeavour to know, to uncover meaning. Barbara Ellmerer’s works underscore how strange nature can be to us.
Alice Henkes