Rosa Hügel, blaue Senken: Die Formen in Barbara Ellmerers neuer Bildserie Atomjumps sind weich und durchaus lustvoll. Rund, fliessend, geschmeidig wie warme, träge sich räkelnde Körper. Die Farben aber – dieses kühle Rosé, das matte Blau-Grau-Violett – wirken fahl und fad, wie von zu starkem, kaltem Licht ausgewaschen. Laborlicht. So tritt beim Betrachten der Bilder neben den Eindruck sanfter Weichheit auch eine Vorstellung von Nüchternheit und aseptischer Kälte.
In der Kunst von Barbara Ellmerer begegnen sich lustvolle Malerei und intellektuelle Naturerkundung, Freude an der Farbe und wissensdurstige Forschung. Kühn bewegt sich die in Zürich lebende Künstlerin im Grenzbereich zwischen Kunst und Wissenschaften. Waren in den Werken vergangener Jahre durchaus noch Naturelemente wie Blütenteile oder Kleinstlebewesen erkennbar, so treibt ihr Forschergeist sie immer weiter voran, von der Pflanze zum Blatt, von der Zelle zum Atom. Unter die Oberflächen, in unbekannte Welten, hin zu dem, was unsichtbar aber nicht undenkbar ist. Was sie antreibt, ist die nachgerade faustische Begier, dass (sie) erkenne, was die Welt / Im Innersten zusammenhält, / Schau alle Wirkenskraft und Samen.
Das, was Goethe Wirkenskraft nennt, die Grundenergie, die alles Leben erzeugt und vorantreibt, dies ist es, der Barbara Ellmerer mit Farbe und Esprit nachspürt. Dabei erlaubt sich die äusserst belesene Künstlerin durchaus phantasievolle Freiheiten. So gestaltete sie zum Beispiel eine Serie von Zeichnungen, angeregt von dem berühmten Lehrgedicht „De rerum natura“ (Über die Natur der Dinge) des römischen Gelehrten Lukrez. In der im 1. Jahrhundert vor unserer Zeit entstandenen Schrift entwirft Lukrez eine Kosmologie, die nur auf natürliche Ursachen zurückzuführen ist und benennt bereits eine materialistische Atomlehre. Barbara Ellmerer hat sich von den Hexametern des Lukrez zu Zeichnungen anregen lassen, die mal an architektonische Skizzen erinnern, mal Darstellungen menschlicher Körperteile und dann wieder an flüchtig-zarte Landschaften.
„In absolutes Terrain vorstossen kann man mit Malerei oder mit wissenschaftlichen Formeln“, so die Maxime der so erkenntnishungrigen wie wagemutigen Künstlerin, die die Leinwand in vielfältiger Weise als Versuchsraum benutzt. So arbeitet sie seit Jahren schon gern mit unkonventionellen Farben, ungewöhnlichen Verbindungen. Sie benutzt Lacke und Ölfarben und Silbernitrat. So wie sie auf der visuellen Ebene oft mit Farbtönen experimentiert hat, die sie schroff gegeneinander setzt, so erprobt sie auf der Materialebene das Mit- und Gegeneinander von Substanzen, die einander verändern oder abstossen. Die Leinwand wird zum Chemielabor.
In ihrer jüngsten, siebenteiligen Bildserie Atomjumps entkoppelt Barbara Ellmerer Natur und Wissenschaften. Sie löst sich von den Objekten der Natur und macht sich wissenschaftliche Betrachtungsweisen zu eigen, um die Malerei selbst zu erforschen. Mikroskopisch zoomend hat sie sich in kleine Partien eigener Bilder vertieft, und diese anschliessend stark vergrössert nachgemalt. So entstanden jene Formengebilde, die so verlockend weich und steril-grau zugleich wirken. Die leichte Irritation, die von diesen Bildern, die körperlich und kalt zugleich scheinen, ausgeht, wird verstärkt durch den Umstand, dass es kein vorgegebenes Oben oder Unten gibt. Die Bilder können so oder so aufgehängt werden. Alles ist richtig. Alles ist falsch. Es gibt keine Gewissheit. Damit reflektieren die Gemälde den alten philosophischen Zweifel an der menschlichen Erkenntnisfähigkeit.
Die abstrakt und dennoch körperlich wirkenden Bilder geben den Blick unter die Bildoberfläche wieder, das Geheimnis des Lebens, das Geheimnis der Kunst. Die Künstlerin selbst freilich lehnt den Begriff abstrakt ab: „Ist ein Atom (k)ein Gegenstand?“ So gelingt es Barbara Ellmerer, mit dem Pinsel tief in Fragen der Philosophie vorzudringen.
Alice Henkes
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Pink hills, blue dales: the forms in Atomjumps, Barbara Ellmerer’s new series of paintings, are soft and quite definitely libidinous. Round, flowing and supple, they evoke warm, lazily lounging human bodies. The tonality of cool pinks or dull blue-grey-purples, however, is pale and insipid, as if cold and strong laboratory lighting had all but obliterated the colours. Our minds hold the impression of gentle softness alongside a notion of sobriety and aseptic chill.
Ellmerer’s art conjoins sensual painting and intellectual nature exploration; it combines a delight in colour with a scientific quest for knowledge The Zürich-based artist boldly explores the boundary zone between art and science. Her previous works and series featured quite clearly identifiable natural elements such as parts of flowers, or microscopic living organisms. Her new series, however, delves into unknown, submerged realms. Her expeditions take her from plant to leaf, from cell to atom, into worlds that, while conceivable, are nevertheless invisible to the naked eye. What drives her is a plainly Faustian desire to ‘... understand whatever / binds the world’s innermost core together, / see all its workings, and its seeds.’
Ellmerer traces Goethe’s Wirkenskraft – the ‘workings’ or primordial energy that generates and drives all life – spiritedly, in colour. The extremely well-read artist also takes creative liberties, however. The drawings in one of her series, for example, were inspired by a renowned didactic poem written in the 1st century BC. In De rerum natura (On the Nature of Things), Roman poet and philosopher Titus Lucretius Carus, introduces the principles of atomism, and presents a physics-based cosmology that is driven entirely by natural causes. Her sketches inspired by Lucretian hexameters by turn evoke architectural structures, human body parts, or delicately evanescent landscapes.
‘Absolute terrain can be explored in painting or through scientific formulae.’ Such is the maxim of this equally courageous and knowledge-thirsty artist. For years now, she has made experimental use of her canvases, transforming them into a chemistry lab, as it were. Take her frequent unconventional juxtaposition of colours in stark tonal contrasts, or the way in which she combines enamels, varnishes, oils, and silver nitrate, in order to explore how these unusual materials interact with, or repel, each other.
In the seven parts of the latest series, Atomjumps, Ellmerer has decoupled nature and science. She has turned away from natural objects, instead adopting scientific observation methods to explore painting per se. Greatly magnified microscopic sections of her own earlier works give rise to soft and tantalising yet sterilely grey-ish formations. The slight irritation that emanates from these painting’s cool sensuality is heightened by the absence of a clearly defined up or down: the canvases can be hanged any which way. Anything is correct. Anything is wrong. There is no certainty. It is in this way that these paintings reflect ancient philosophical doubts about human cognition.
Ellmerer’s abstract yet figuratively sensuous paintings reveal what lies beneath the visible surface – the secret of life, the secret of art. The artist herself, however, rejects the term ‘abstract’: ‘Is an atom (not) an object?’. With her brush, Ellmerer successfully explores deeply philosophical issues.
Alice Henkes