Marcel Odenbach 'aufspüren'

Marcel Odenbach 'aufspüren'

Berlin, Germany Saturday, April 29, 2006–Tuesday, May 30, 2006

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MARCEL ODENBACH: aufspüren

Dauer der Ausstellung: 29. April - 30. Mai 2006
Eröffnung: 28.04.2006, 19.00 - 22.00 Uhr

[...] Der Raum in der Natur oder im Hotelzimmer, das Ornament als Muster, Zimmergardinen, Liegestuhlbezüge, Waldboden, Leopardenfell, und die angedeuteten Spielszenen aus alten und neuen, aus gesehenen oder geträumten Filmen verdichten sich auf den neuen Papierarbeiten von Marcel Odenbach zu Bildern von Geschichten mit vagem Inhalt aber großer Eindringlichkeit. Die aus geschnipselten Details montierten gegenständlichen Formen geben mit ihren schuppenartigen Oberflächen dem schnell über das Blatt fliegenden Auge Halt. In Robbe-Grillets Roman „Der Augenzeuge“ gibt es Details wie das an die Kaimauer schlagende Wasser, die unklaren Gefühlen durch die Präzision der Beschreibung und nicht durch die naturalistische Nachempfindung Gehör verschaffen. Analog dazu ist der Blick aus dem Kanalschacht mit den roten Sicherungsringen, aus dem heraus eine Steigleiter führt, die schnelle Bewegung des durch den Wald laufenden Mannes in „Schnipseljagd“ oder der vor einem, mit Fenstererkern versehenen Wohnhaus wartenden Pistolenbewehrten bei Marcel Odenbach der prägnante Kern einer nicht erzählbaren aber äußerst präzis empfundenen Geschichte.
Die Formate dieser Bilder „Papier auf Papier“ bewegen sich auffällig in der Dimension der großen Fotopapiere oder auch in der gängigen Form der großformatigen Gemälde der neudeutschen Schule. Gerissene Ausschnitte wie bei der „Schnipseljagd“ „GESCHEITERT WAR, HINTER VORGEHALTENER HAND“, oder bei der „Sommerfrische“ gesellen sich zu zentralen Hauptakteuren, wie die Einschalttafel zur Luftregulierung der drei Fenster „Auf“ „Halt“ und „Ab“. Marcel Odenbach bringt mit diesen genauen Anschlägen eine Partitur zum Klingen, deren gesamte Struktur in einer tieferen Schicht verborgen ist, die aber wie beim Einschalten oder in den hellen Risskanten der Papierschnipsel plötzlich aufblitzt.
Dass diese intensive, in der Tiefe liegende Erzählstruktur auch im beinahe abstrakten Bereich zutage treten kann, machen die beiden quadratischen Blätter „Jagdfieber I“ und „Jagdfieber II“ auf eindrückliche Weise deutlich. Das smaragdfarbene Feld mit braunen und schwarzen Flecken und das gelbe Feld mit roten und schwarzen Markierungen evozieren auch ohne die Titel das Fell des Leoparden. Mit ihm sind schlagartig ganze Bereiche interkultureller Erzählungen ins Bewusstsein gehoben: von Joseph Conrads „Herz der Finsternis“ bis hin zu Filmepen, die das Schicksal des Einzelnen schildern, wie er sich durch die Nachtseiten des Lebens, die Gefahren des Dschungels schlägt. Als Jagdtrophäe erzählt das Fell des Leoparden von der Kraft, dem Mut und der Geschicklichkeit des Jägers, aber auch mit Blick auf die Geschichte der Kolonien vom Umgang der Europäer mit Afrika.
Der Blick auf diese sieben vorgestellten Werke erschließt die Arbeitsweise des Künstlers auf eindrückliche Weise. Marcel Odenbach knüpft mit seinen gerissenen Papierfragmenten Netze, mit denen Räume eingefangen werden, in denen Geschichte anwesend ist, die sich zwischen vorne und hinten, zwischen Oberfläche und Tiefenschicht, zwischen fester Kante und aufbrechender Schlucht abspielt. Als Beobachter dieser Geschichten bleibt beim Versuch, etwas von der Wucht und Gewalt, von der Bewegung und Zartheit dieser Ereignisse festzuhalten, nur das Fragment, das gerissene Stück Papier, das stellvertretend an den großen Zusammenhang, an die entgangene Beute erinnert. Dass aus dieser Erinnerung ein Bild geworden ist, ist das Ergebnis der vorliegenden künstlerischen Intervention.

Ulrich Bischoff

Bis zum 18. Juni 2006 ist im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart Marcel Odenbachs Videoinstallation „In stillen Teichen lauern Krokodile“ zu sehen.

MARCEL ODENBACH: aufspüren

Duration: April 29th – May 30th, 2006
Opening: April 28th, 2006, 7 – 10 pm

The space in nature or in the hotel room, the ornament as pattern, curtains, deck chair coverings, forest ground, leopard skin, and the hinted-at play scenes made from old and new films, films that have been seen and dreamed; all this comes together in the new works on paper by Marcel Odenbach, forming pictures of narratives whose content is vague, but which are nonetheless insistent. They are graphic forms made from snippets whose fragmented surface arrests the eye as it moves over the sheet. Robbe-Grillet’s novel “The eyewitness” contains details, such as the water beating against the quay wall, which give expression to ambiguous feelings through the precision of the description rather than through naturalistic reproduction. Analogously, the view from a canal shaft with the red safety rings, with a vertical ladder leading up from the shaft, the quick movements of the man running through the woods in “Schnipseljagd” or the man carrying a pistol outside a residential block with window bays are for Marcel Odenbach the succinct core of a narrative that cannot be told but that can be felt all the more precisely.

The formats of these “paper on paper” pictures are noticeably within the dimension of the large photo papers or of the traditional large paintings of the new German school. Torn-off clippings such as in “Schnipseljagd”, “GESCHEITERT WAR, HINTER VORGEHALTENER HAND”, or “Sommerfrische” join together to become central actors, like the switch panel to regulate the air coming from the three windows “open”, “halt” and “off”. With these precise strokes, Marcel Odenbach creates a composition whose entire structure is hidden within a deeper layer, which is nevertheless suddenly illuminated when you switch it on, or among the lighter-colored torn edges of the scraps of paper.

The fact that such an intense and deep-going narrative structure can come to light in an almost abstract sphere is impressively revealed, in the two quadratic planes “Jagdfieber I” and “Jagdfieber II”. The emerald field with brown and black dots, and the yellow field with red and black markings evoke the skin of the leopard even without the titles. In a sudden burst, entire areas of intercultural narration are brought into consciousness: from Joseph Conrad’s “Heart of Darkness” to film epics that describe the fate of the individual as he copes with life’s dark side and the dangers of the jungle. As a hunting trophy, the leopard skin tells of the power, the courage and the skilfulness of the hunter, but is also reminiscent of colonial history and the way Europeans treated Africa.

Looking at these seven works provides impressive insight into the way the artist works. Marcel Odenbach uses his torn scraps of paper to create nets that capture spaces, that contain narratives that proceed between front and back, between the surface and deeper layers, between solid edges and a chasm that breaks open. As the observer of these narratives, all you are left with when attempting to retain the impact and force, the movement and tenderness of these events, is the fragment, the torn piece of paper, representative of the occurrence as a whole, reminiscent of the prey that has escaped. The fact that a picture emerged from this memory is the result of the present artistic intervention.

Ulrich Bischoff

Until June 18th, 2006 the Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart shows Marcel Odenbach’s videoinstallation „In stillen Teichen lauern Krokodile“.