Erwin Wurm 'Direktionsskulptur'

Erwin Wurm 'Direktionsskulptur'

Innsbruck, Austria Saturday, May 31, 2008–Saturday, September 6, 2008

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Erwin Wurm 'Direktionsskulptur'
31. Mai - 6. September 2008

Die Ausstellung setzt sich aus zwei Teilen zusammen: der Rauminstallation Direktionsskulptur mit mehreren Gruppen neuer dazu entstandener Fotografien und einer Gruppe großer und kleiner Mind Bubbles.
Mit der Direktionsskulptur bezieht sich Wurm auf Joseph Beuys’ Installation Voglio vedere le mie montagne von 1971, der sich seinerseits auf die letzten Worte Giovanni Segantintis (1858-1899) (Ich möchte meine Berge sehen) - er wünschte sein Sterbebett näher am Fenster - bezogen hat.
Beuys’ Installation besteht aus einem großen Schrank mit ovalem Spiegel auf der linken Seite. Ein Bettgestell steht rechts gegenüber. Zwischen Bett und Schrank stehen eine hohe, an einer Seite offene Transportkiste sowie eine niedrige Holztruhe, auf der ein morsches Holzstück liegt. Auf einem mit Schwefel überzogenen Schemel ist ein mit Fett eingeschmierter Spiegel aufgestellt. Im Bett liegt eine Fotografie, die Beuys angezogen und mit Wanderstab in der Hand in eben diesem Bett liegend zeigt. Neben dem Schrank, in Kopfhöhe, hängt ein Porträt von Beuys. Jeder dieser Gegenstände ist mit Kreide bezeichnet. Auf dem Schrank steht „Vadrec [t]“ (Gletscher); auf Kiste, Truhe und Schemel „Sciora“ (Felsen, Bergkette) und „Cime“ (Gipfel) und auf dem Bett „Walun“ (Tal). Alle Gegenstände, Schrank, Transportkiste, Holztruhe, Schemel und Bett sind am Boden mit einer Kupferkonstruktion verbunden. Von der Decke, in der Mitte des triptychonartigen Halbrunds der Installation, hängt eine bis knapp auf den Boden hinabreichende runde Lampe, die ein rundes Filzstück hell beleuchtet.
Wurm übernimmt die wesentlichen Elemente in Direktionsskulptur und schafft mit seinen Handlungsanweisungen eine ironische Interpretation des Beuys’schen Originals, welches den zyklischen Rhythmus von Leben und Vergehen thematisiert.
Mit den Mind Bubbles bedient sich Wurm der Form der Kartoffel, einer Unform, welche trotz breitester Variationsmöglichkeiten immer an einen Erdapfel erinnert und bekleidet sie mit unterschiedlicher Strickware. Er bezieht sich damit gleichermaßen auf frühere Arbeiten wie z. B. Me and Me Fat (das Übereinanderschichten zahlreicher Kleidungsstücke am Körper) und auf Gedankenblasen, die wir aus Comics kennen und die immer wieder Wurms Handlungsanweisungen für one-minute sculptures begleiten.

Erwin Wurm * 1954 in Bruck/Mur, lebt und arbeitet in Wien, ist einer der bedeutendsten Künstler der Gegenwart. Wurm ist ein konzeptioneller Bildhauer. Stets geht es ihm um skulpturale Fragen, um Transformationen von Volumen, die jenen überraschend neuen Blick auf die Welt eröffnen. Seine Handlungsanweisungen schaffen temporäre, bewegliche, ephemere - lebende Skulpturen. Der Betrachter wird zum Akteur, welcher sich selbst in absurd-komische Situationen bringt, in denen er Erfahrungen macht, die er normalerweise unter allen Umständen vermeiden würde: Wer will sich schon lächerlich machen!

Die großen retrospektiven Ausstellungen Erwin Wurms 2006 bis 2008 im Mumok Wien, Deichtorhallen Hamburg, Ludwig Forum Aachen, Musée d’Art Contemporain Lyon und Kunstmuseum St. Gallen, jeweils mit Publikumsrekorden, haben seinen internationalen Ruf definitiv verankert. Gemeinsame Projekte mit der Galerie Elisabeth & Klaus Thoman, Innsbruck: Personalen Direktionsskulptur (2008) und 59 Stellungen (1999), 30 (2007), Julia Bornefeld Jimmie Durham Michael Kienzer Martin Kippenberger Sarah Lucas Franz West Erwin Wurm sculpture (2005), Unter freiem Himmel, Skulptur im Schlosspark Ambras (2001/02), Best of (2001), Sculptura Austriae (1998).

Erwin Wurm 'Direktionsskulptur con vista sulle mie montagne'

Den Untertitel für die Installation Direktionsskulptur hat Erwin Wurm von einem der einflussreichsten Künstler des späten zwanzigsten Jahrhunderts entlehnt, dem deutschen Bildhauer Joseph Beuys (1921–1986). Con vista sulle mie montagne oder 'Mit einem Blick auf meine Berge' bezieht sich auf die Installation Voglie vedere i meie montagne, die Beuys 1971 für einen Raum des Van Abbemuseums in Eindhoven schuf. Der fehlerhaft geschriebene italienische Titel ('Ich möchte meine Berge sehen') zitiert Giovanni Segantini, einen Maler des neunzehnten Jahrhunderts, der auf seinem Sterbebett mit diesen Worten darum bat, man möge sein Bett näher an das Fenster rücken. Die raumfüllende Installation ist eine der autobiographischsten Arbeiten von Beuys, der bekannt war für seine unkonventionelle, innovative Bildsprache.

Wurms Version der Beuys-Installation ist ein ironischer, nüchterner Rückgriff auf die ursprünglichen Objekte. Dabei nimmt er Beuys buchstäblich auseinander, da er 'ja keinen Spaß versteht bei seinen eigenen Sachen'. Das Bett, der Schemel, die Lampe und der Schrank, all dies sind Elemente aus der Beuys-Installation. Die schmale Holzkiste in Con vista sulle mie montagne, direkt auf die Zehen zu platzieren, erschwert nicht nur das Gehen, sondern grenzt auch das Blickfeld ein auf ein Stück Holz direkt vor dem Kopf der betreffenden Person. Was nicht gerade den Absichten von Beuys entspricht. 'Als ich die Installation Voglie vedere i miei montagne machte, bezog ich mich auf den innerlichen Archetypus eines Bergs: den Berg des Ichs.'
In seiner Arbeit beschäftigt sich Erwin Wurm mit besonderen Größen der Kunstwelt, nimmt hier Joseph Beuys als besonderen Fall heraus. Wurm entstammt jener Generation, der Beuys als unantastbare, unanfechtbare Autorität galt, die ihre persönlichen Vorstellungen abgesteckt hatte und immer wieder sehr deutlich machte, dass Opposition zu diesen Vorstellungen nicht toleriert werden würde. Über die Jahre wurde aus Beuys eine Art von Leitparadigma in der Kunstwelt. Heute, mehr als zwanzig Jahre nach seinem Tod, könnte dies eine erste Gelegenheit sein, ein wenig auf Distanz zu der Person Beuys und ihrem Werk zu gehen und eine neue Perspektive einzunehmen. Dass Wurm sich dieser Aufgabe gestellt hat, ist bemerkenswert, zumal er selbst, als junger Künstler, stark von Beuys beeinflusst war.
Einer der Punkte, die Wurm auffielen, war eine gewisse Inkonsistenz in der Position von Beuys. In seinen Theorien war dieser ein dezidierter Fürsprecher der sozialen Plastik und damit einer demokratischen Vorstellung von Kunst. In seiner physischen Ausformung jedoch wohnte seinem Werk ein ausgeprägter Sinn für das Mystische inne, für die Erhöhung des Objekts und seine symbolischen Bedeutungen. Anstatt sich von den entstehenden Mystifikationen um sein Werk zu distanzieren, schürte Beuys diese geradezu.
Vor diesem Hintergrund ist Wurms unbeschwerter Kommentar regelrecht befreiend. Natürlich ist sein Werk selbst nicht ohne Anmaßung, aber es ist wichtig zu erkennen, dass es die Betrachter einlädt und ermutigt, sich der unzähligen möglichen Wahrheiten bewusst zu werden, und dass es darauf verzichtet, das Publikum didaktisch einzuengen auf die Dogmen einer einzigen Wahrheit.
Erwin Wurms Skulpturen rufen oft Gelächter hervor. 'Humor ist wichtig, weil Humor den Zugang erleichtert; und überhaupt das Leben erleichtert', stellt der Künstler fest. Soziologische Untersuchungen haben gezeigt, dass eine Gesellschaft, deren Mitglieder zufrieden sind, weniger Witze kennt. Und umgekehrt. Die Süddeutsche Zeitung berichtete im August 2007, dass es in Bagdad mehr Gelächter gebe als je zuvor.
Witze emanzipieren. Sie befreien uns, für eine Sekunde, vom Ernst des Lebens. Sie ändern unseren Blick auf die Wirklichkeit und sind ein faszinierendes Phänomen. Philosophen, von Platon und Aristoteles bis Schopenhauer, Nietzsche oder Derrida, haben sich ebenso mit Witzen befasst. Und auch sie sind reiche Quellen für Wurms Zeichnungen und Skulpturen.
Aber zurück zur eingangs erwähnten Skulptur. Der Teddybär wird zu einem Symbol der Furcht. Unser liebstes Kuscheltier, einst unser bester Freund, hat sich in die ultimative Kindheitsangst verwandelt. Kinder haben, sich niederlassen, eine Hypothek abzahlen – gefolgt von der Angst davor, Verantwortung zu übernehmen. Menschen geben klein bei und werden weich, nicht hart – und Midlifekrise, Impotenz, die Trostlosigkeit des Alltags schlagen zu. In einer Ausstellung zu stehen mit einem rosaroten Teddybär in der Hose, erscheint da plötzlich als eine anziehende Alternative! Es wird nichts ändern. Aber es kann die Sache auch nicht schlimmer machen. Wenn das nicht lustig ist.

Stijn Huijts, Lene der Haar

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Erwin Wurm 'Direktionsskulptur'
May 31 - September 6, 2008

The exhibition consists of two parts: the spatial installation Direktionsskulptur, including several groups of new photographs to go with it, and a group of large and small Mind Bubbles.
Wurm’s Direktionsskulptur refers to Joseph Beuys and his Voglio vedere le mie montagne (I want to see my mountains) from 1971 which, for its part, had echoed the last words of Giovanni Segantini (1858–1899) who wanted his bed moved closer to the window.
Beuys’ installation is made up of a large wardrobe with an oval mirror on its lefthand side. A bedframe stands opposite, a little to the right. Between bed and wardrobe stands a tall transport box, open on one side, as well as a low wooden chest on which lies a rotten piece of wood. On a stool, covered in sulphur, a mirror is placed, smeared with grease. On the bed there lies a photograph showing Beuys, dressed and holding a walking staff, as he lies in the selfsame bed. Beside the wardrobe, at face level, hangs a portrait of Beuys. Each of these objects is written on with chalk.
On the wardrobe it says ‘Vadrec [t]’ (glacier); on the box, chest and stool it says ‘Sciora’ (rock, mountain range) and ‘Cime’ (summit); and on the bed the letters spell ‘Walun’ (valley). All objects – wardrobe, transport box, wooden chest, stool and bed – are connected at floor-level by way of a copper construction. From the ceiling, at the centre of the triptych-like half-circle of the installation, hangs a round lamp, almost touching the floor, that brightly illuminates a round piece of felt.
In his Direktionsskulptur Wurm resorts to the same basic elements and, by way of his instructions, brings about an ironic downplaying of the Beuys original that had dealt with the cyclical rhythm of life and death.
The Mind Bubbles, meanwhile, make use of the form of the potato, a non-form that is, which in spite of a multitude of possible variations always reminds us of a potato. Wurm clothes them in various types of knitwear. By doing so, he refers not only to earlier works such as Me and Me Fat (the building up of numerous layers of clothing on the body) but also to the mind bubbles that we are familiar with from comics and that regularly accompany Wurm’s directions for his one-minute sculptures.

Erwin Wurm (born in Bruck an der Mur, Styria, in 1954), who lives and works in Vienna, is one of the most renowned artists of our time. Wurm is a conceptual sculptor whose work at all times deals with sculptural questions and with transformations of volumes that open up forever new and surprising perspectives on the world. His instructions bring about temporary, movable, ephemeral, living sculptures. In the process observers become actors who get themselves into absurdly comical situations in which they make experiences which they usually would avoid at all costs. For who wants to make a fool of themselves!

The great retrospective of his work, shown between 2006 and 2008 – in each case attracting a record number of visitors – at MUMOK Vienna, Deichtorhallen Hamburg, Ludwig Forum Aachen, Musée d’Art Contemporain Lyon and Kunstmuseum St. Gallen, has once and for all consolidated Erwin Wurm’s international reputation. Joint projects with Galerie Elisabeth & Klaus Thoman, Innsbruck: solo shows Direktionsskulptur (2008) and 59 Stellungen (1999), 30 (2007), Julia Bornefeld Jimmie Durham Michael Kienzer Martin Kippenberger Sarah Lucas Franz West Erwin Wurm sculpture (2005), Unter freiem Himmel, Skulptur im Schlosspark Ambras (2001/02), Best of (2001), Sculptura Austriae (1998).

Erwin Wurm Direktionsskulptur con vista sulle mie montagne

Wurm derived the subtitle of the installation Direktionsskulptur from one of the most influential artists of the second half of the twentieth century, German sculptor Joseph Beuys (1921-1986) Con vista sulle mie montagne or With a view of my mountains' refers to the installation Voglie vedere i meie montagne Beuys created in 1971 for a room in the Van Abbemuseum, Eindhoven. The incorrectly spelled Italian title I want to see my moun¬tains' quotes the 19th century painter Giovanni Segantini on his deathbed in Switzerland. With these words he asked for his bed to be placed closer to the window. The space-filling installation is one of the most autobiographic works of Beuys, who was best known for his unconventional, innovative visual syntax.

Wurm's version of the Beuys instal¬lation is an ironic, downplaying take on the original objects. By so doing, he literally takes Beuys apart because he 'ja keinen Spass versteht bei seinen eigenen Sachen'. The bed, the stool, the lamp and the cupboard are all elements from the Beuys installation. In Con vista sulle mie montagne the narrow wooden box must be placed frontally on the toes, which doesn't just hamper walking but also limits the view to a piece of wood right in front of the person's head. Which isn't exactly what Beuys had in mind. 'When I made the installation Voglie vedere i miei montagne. I was referring to the inner archetype of a mountain: the mountain of the self.'
In his work, Erwin Wurm investi¬gates specific touchstones in the art world, here taking Joseph Beuys as an interesting case. Wurm num¬bers among the generation that grew up knowing Beuys as an inviolable, unimpeachable authority, who had clearly delineated personal ideas and regularly revealed, most explic¬itly, that opposition to these ideas would not be tolerated. Over the years, Beuys has become a sort of leading paradigm in the art world. Now, more than 20 years after Beuys' death, this may be the first oppor¬tunity to take a certain distance from the person and his oeuvre, and see it in perspective. That Wurm has taken this on is intriguing, the more so because, as a young artist, he was strongly influenced by Beuys' work.
One of the things that struck Wurm was a certain inconsistency in the position of Beuys. In his theories, Beuys was a redoubtable advocate of social sculpture and, with this, of a democratic notion of art. However, in its physicality, his work has a pronounced sense of mystique: the exaltation of the object and its symbolic meanings. Rather than actually distancing himself from the mystifications that sprang up around his work, Beuys helped fuel them.
Seen in this light, Wurm's light-hearted commentary is liberating. Of course, Wurm's work is not without pretentions, but it is important to see that it invites and encourages people to consider the countless pos¬sible truths that exist, and refrains from didactically limiting the public to the dogmas of a single truth.
Erwin Wurm's sculptures are often greeted by laughter. 'Humor ist wichtig weil Humor den Zugang erleichtert; und Überhaupt das Leben erleichtert.', observes Erwin Wurm. Sociological research has shown that, in societies where people are contented, there are fewer jokes. Or the reverse. According to the Sueddeutsche Zeitung of August 2007, there's more laughter in Baghdad than ever before.
Jokes emancipate. They free us, for a second, from the gravity of life. They put our reality into perspective and are a fascinating phenomenon. Philosophers from Plato and Aris¬totle to Schopenhauer, Nietzsche or Derrida have also analysed jokes; they, too prove a fruitful subject for Wurm's drawings and sculptures.
(Jetting back to the sculpture described at the beginning: the teddy mutates into a symbol of fear. Our favourite cuddly toy, once our best friend, has morphed into the ultimate childhood angst.
Having kids, settling down, paying off a mortgage - is closely followed by the fear of commitment. People are caving in and turning soft, not tough - and midlife crisis, impo¬tence, the dreariness of the mundane, strikes. Which makes standing on show in an exhibition with a pink teddy stuck down your trousers sud¬denly an attractive option! It doesn't change things. But it can't make matters worse. Is that funny or what?

Stijn Huijts, Lene ter Haar