Bei seiner neunten Einzelausstellung in der Galerie Eva Presenhuber zeigt Gerwald Rockenschaub eine neue
Werkgruppe: Unter dem Titel bend it versammelt Rockenschaub jüngst entstandene Wandarbeiten aus
übereinandergelegten Acrylglasscheiben. Diese Werke kombiniert der Künstler mit gemalten Flächen zu einer
begehbaren Installation, in der die Grenzen zwischen Zwei- und Dreidimensionalität verschwimmen.
Was im Deutschen Bildende Kunst genannt wird, heißt im Englischen visual arts. Während beim deutsche
Wortpaar das bildend bzw. gestaltende Element für die nicht-darstellenden Kunstformen betont wird, verweisen
die englischen Begriffe auf die auf den Gesichtssinn basierende visuelle Wahrnehmung von künstlerischen
Artefakten. Beim ersten geht es um den Akt der Produktion, beim zweiten um den Vorgang der Rezeption. Im
Werk von Gerwald Rockenschaub spielen beide Aspekte eine gleichberechtigte Rolle. Allerdings gestaltet der
Künstler seine Arbeiten explizit so, dass durch das Gesehene zugleich der Vorgang des Sehens selbst in den
Vordergrund tritt.
Gerwald Rockenschaub war in den 1990er-Jahren einer der ersten Künstler, der seine Arbeiten konsequent am
Computer entwarf und ihre Ausführung an Spezialfirmen und Handwerker delegierte. Häufig bestehen seine
Bilder, Objekte und Skulpturen aus industriellen Werkstoffen wie Farbfolien aus Kunststoff, Aluminium, PVC oder
Acrylglas, das der Künstler seit 1987 durchgängig verwendet. Die Betonung der maschinellen Herstellung setzt
Rockenschaub in der Titelgebung fort, da seine Arbeiten immer nach ihren technische Bezeichnungen benannt
sind.
Rockenschaubs aktuelle Wandarbeiten aus Acryglasplatten unterscheiden sich in einem wesentlichen Punkt von
älteren Werken dieser Gruppe: Bislang hat der Künstler die manchmal transparenten, manchmal opaken
Scheiben direkt auf der Wand befestigt hat, wie 1989 in einer monumentalen Installation in der Galerie Paul
Maenz. Nun legt er sie in mehreren Schichten übereinander. Außerdem schneidet er die Flächen in irreguläreckige
oder verspielt-biomorphe Formen oder perforiert einige Platten mit Löchern. Durch diese Bearbeitung des
Plexiglases mischen sich die Farben der Scheiben zu neuen Tönen, so dass sich vielfältige optische
Überlagerungen und Interferenzen ergeben.
Wie generell bei seinen Arcyglasarbeiten geht es Rockenschaub um das Wechselspiel zwischen An- und
Abwesenheit, Sichtbarmachen und Verbergen. Denn der Künstler verwendet zumeist Platten, die durchsichtig und
außerdem sehr dünn sind, so dass sie sich aus der Ferne betrachtet nicht von einer bemalten Fläche
unterscheiden. Diesen Effekt steigert Rockenschaub in bend it durch die Verbindung seiner Objekte mit
tatsächlichen geometrischen Wandmalereien. In dieser Kombination werden beide Medien – Malerei und Relief –
vom Auge kaum mehr als solche wahrgenommen.
Charakteristisch für die Ausstellungen von Rockenschaub ist weiterhin, dass der Künstler in der Art der
Präsentation auf die architektonischen Begebenheiten vor Ort eingeht. So nimmt „bend it“ Bezug auf den
schlauchartigen Raum der Galerie Eva Presenhuber, in dem Rockenschaub die Acrylglasarbeiten auf den langen,
sich gegenüberliegenden Wänden platziert. Auf der einen Seite befinden sich farbige Arbeiten und Wandflächen.
Ihnen gegenüber hat der Künstler zwölf weiße, rechteckige und gleichgroße Acrylglasscheiben auf einem
ebenfalls weiß gestrichenen Untergrund befestigt. Elf der Platten sind in einem alternierenden Rhythmus hochund
querformatig angeordnet; ein Element weicht hiervon ab, da es gekippt wurde, um die gesamte Länge der
Wand mit den Arcylglasplatten auszufüllen. Durch diese Trennung von farbigen und farblosen Flächen erhöht sich
die optische Verwirrung, da die weißen Arcylglasplatten noch stärker mit der Wand verschmelzen als ihre
kontrastreichen Gegenüber.
Wie bei jeder Augentäuschung von der Trompe-l'œil-Malerei des Barock bis zu den populären unmöglichen
Figuren eines M. C. Eschers ahmt Kunst unsere auf der Zentralperspektive basierende Weltsicht nach, nur um
diese als Illusion wieder zu entlarven. Rockenschaub hingegen imitiert nicht die Realität: Seine Werke basieren
auf der Ästhetik der Geometrie und folgen den Gesetzen farblicher Interaktion. Im Unterschied zu Josef Albers
jedoch, der gleichfalls wusste, dass nur der Schein nicht trügt, übertragt Rockenschaub die Grundlagen der
Wahrnehmungspsychologie in den Raum und setzt sie so in Beziehung zum Körper des Individuums. Dass seine
Arbeiten noch dazu die Perfektion industriell hergestellter Materialien besitzen, lässt die Tücken des Sehens umso
deutlicher zu Tage treten: Nicht ihre glatten Oberflächen täuschen, erst ihre Makellosigkeit offenbart die Mängel
der Sinnesorgane, denen wir bei der Erschließung der Wirklichkeit zu Vertrauen gewohnt sind.
Dr. Sven Beckstette
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In his ninth solo exhibition in the Galerie Eva Presenhuber Gerwald Rockenschaub is showing a new group of works: under the title bend it, Rockenschaub has assembled recent wall pieces made of overlapping sheets of plexiglass. The artist has combined these works with painted surfaces in an installation one can enter, in which the boundaries between two- and three-dimensionality are blurred.
What are referred to in German as the “bildende Künste” are known in English as the “visual arts.” Whereas the German phrase emphasizes the “bildend,” or shaping, element in non-representational art forms, the English term registers our visual perception of works of art. In the former it is the act of creation that is uppermost, in the latter it is the appreciation of what is created. In the work of Gerwald Rockenschaub both aspects are equally acknowledged. The artist deliberately designs his works in such a way that the act of seeing itself comes to the fore as a consequence of what is seen.
In the 1990s Gerwald Rockenschaub was one of the first artists to consistently design his works on a computer and delegate their fabrication to special firms and craftsmen. His pictures, objects, and sculptures are often made of such industrial materials as colored plastic foils, aluminum, PVC, or plexiglass, which the artist has used continuously since 1987. Rockenschaub extends his emphasis on machine fabrication to his choice of titles, for his works always carry their technical designations.
Rockenschaub’s recent plexiglass wall pieces are unlike early works from this group in one essential point: heretofore the artist affixed the sheets, some transparent, some opaque, directly onto the wall, as in a monumental installation in the Galerie Paul Maenz in 1989. He now layers them. In addition, he cuts them into irregularly angled or playfully biomorphic shapes or riddles them with holes. As a result, the colors of the sheets blend into new shades, producing multiple visual overlappings and clashes.
As always in his plexiglass works, Rockenschaub is concerned with the interplay between presence and absence, making visible and concealing. For the artist generally uses transparent sheets that are very thin, so that seen from a distance they cannot be distinguished from a painted surface. In bend it Rockenschaub heightens this effect by combining his objects with actual geometric wall paintings. In this combination the eye scarcely perceives the two mediums—painting and relief—as different.
Also characteristic of Rockenschaub’s exhibitions is the fact that the artist involves himself in the way the presentation responds to the site’s architectural features. Thus bend it responds to the tubelike space of Galerie Eva Presenhuber in that Rockenschaub has placed the plexiglass works on the opposing long walls. On the one side are color works and wall surfaces. Across from them the artist has mounted twelve white, rectangular plexiglass sheets of identical size against a background that has also been painted white. Eleven of the sheets are arranged in an alternating rhythm of vertical and horizontal: one element diverges from this pattern in that it was tipped in order to fill the entire length of the wall with the plexiglass sheets. The separation of colored and colorless surfaces heightens the optical confusion, for the white plexiglas sheets blend into the wall more than their richly contrasted counterparts.
As in any kind of visual deception, from Baroque trompe-l’oeil to the popular impossible figures of an M. C. Escher, art imitates our view of the world based on central perspective, only to then unmask it as an illusion. Rockenschaub does not imitate reality, however: his works are based on the aesthetics of geometry, and follow the laws of the interaction of colors. Unlike Josef Albers, who also knew that only appearances do not deceive, Rockenschaub extends the fundamentals of the psychology of perception into space, places them in relation to the body of the individual viewer. The fact that his works also exhibit the perfection of industrially produced materials makes the visual deceptions all the more obvious: it is not their smooth surfaces that deceive, it is only that their flawlessness reveals the shortcomings of the sense organs we tend to trust in our perception of reality.
Dr. Sven Beckstette, (Translated by Russell Stockman)