Die Ausstellung Kader Attia 2009: 2019 Films ist die dritte Einzelausstellung von Kader Attia in der Galerie Krinzinger. Die Ausstellung zeigt eine Auswahl seiner wichtigsten Film- und Videoarbeiten.
Als Sohn einer algerischen Familie wuchs Attia in einem multiethnischen Umfeld in einem Vorort von Paris auf. Schon früh interessierte er sich für soziokulturelle Phänomene, vor allem solche, die im Zusammenhang und als Folge von Kolonialismus entstehen. In verschiedensten Disziplinen wie Psychoanalyse, Soziologie, Architektur und Philosophie untersucht Kader Attia diese Phänomene. Seine Untersuchungen gipfeln im Konzept des Repair, was sowohl Wiedergutmachung als auch Wiederherstellung bedeutet. Attias Filme, die zum Teil aus Interviews und Porträts von Menschen und Gesellschaften bestehen, veranschaulichen eindrucksvoll das breite Spektrum seiner Forschung. Laut Kader Attia finden sich in jedem System und in jeder kulturellen Tradition zahlreiche Reparaturprozesse.
Kader Attia hat ein Talent für verbale und visuelle Wortspiele, für das Verknüpfen von scheinbar Unzusammenhängendem und für das Schaffen neuer Bedeutungen. Die Doppelprojektion Open your eyes basiert auf Kader Attias umfassender Erforschung der modernen westlichen Ästhetik. Der Schwerpunkt liegt auf der Reparatur des menschlichen Körpers, die er mit der Entwicklung der Reparatur in Kulturen außerhalb der westlichen Kultur vergleicht. Attia organisiert Bilder in einer vergleichenden Diashow und fügt Sätze ein, die sich auf die Moderne, ihre Tradition und Kontroversen beziehen. So findet er Verbindungen zwischen den Gesichtsnarben von Veteranen des Ersten Weltkriegs und Angehörigen afrikanischer Stämme, zwischen den Emotionen, die von autoritären Diktatoren und Jazzsängern geweckt werden, zwischen einer kongolesischen sikness mask und Edvard Munchs Der Schrei.
In La Tour Robespierre schwenkt eine Kamera langsam über die hohe Fassade des Robespierre-Turms – ein ziemlich düster aussehender Wohnblock in einer Pariser Banlieue. Es ist ein Ort, an dem vor allem Immigranten angesiedelt wurden. Am Dach angekommen, soll der Blick auf die Stadt im Hintergrund Erleichterung, von dieser inhumanen Seite der Moderne, schaffen.
Kader Attias Interesse an der persönlichen Geschichte von Individuen in marginalisierten Gesellschaften zeigt sich auch in seinen Dokumentarfilmen über algerische Transsexuelle in Paris. In Collages erweitert Kader Attia seine intensive Auseinandersetzung geografisch mit dem Thema auf Algier und Bombay. In diesem Film geht er weit über das Thema der Sexualität hinaus. Vielmehr hinterfragt er Tradition und Moderne unterschiedlicher kultureller Hintergründe und Ideologien.
Reflecting Memory ist ein Video über das Phantom-Limb-Syndrom, für das ihm der renommierte MarcelDuchamp-Preis im Jahr 2016 verliehen wurde. Es knüpft an seine früheren Repair-Arbeiten an. Beim Phantom-Limb-Syndrom verspüren Menschen Schmerzen an dem Körperteil, der ihnen amputiert wurde. Das Phänomen ist noch immer weitreichend unerklärt. Bei einer Form von Therapie, wird ein Spiegel verwendet, um den Betroffen dabei zu helfen, ihre Phantom-Schmerzen zu lindern. Bei einigen Patienten haben sich diese verringert, wenn der Spiegel nach und nach entfernt wird. Attia verfolgt hier das Thema des Repair auch im Bereich der psychologischen Heilung. In Interviews mit Psychoanalytikern, Chirurgen und Wissenschaftlern untersucht er, wie auch Gemeinschaften unter den gleichen Symptomen leiden können, indem sie ein Trauma leugnen oder sich nicht auf die Auseinandersetzung mit kollektiven Verbrechen ihrer Vergangenheit einlassen. Repair ist für den Künstler eine Metapher für kulturelle Aneignung und Widerstand geworden.
Im Jahr 2016 schafft Kader Attia in Paris mit La Colonie einen Raum, der als Diskussionsforum für diese kollektiven Traumata dienen soll. Der Fokus liegt auf der Entkolonialisierung von Wissen, Einstellungen und Praktiken.
Kader Attia wurde 1970 in Frankreich geboren und ist in Algerien und in den Vororten von Paris aufgewachsen. Seit seiner ersten großen Einzelausstellung in der Demokratischen Republik Kongo 1996 wurden seine Arbeiten in zahlreichen wichtigen internationalen Ausstellungen und Biennalen gezeigt, wie der 12th Shanghai Biennale; der 12th Gwangju Biennale; der 12th Manifesta, Palermo; der 57th Biennale in Venedig; der dOCUMENTA(13) in Kassel; der Kochi Muziris Biennale 2014; Zu den wichtigsten Einzelausstellungen zählen The Museum of Emotion, The Hayward Gallery, London; Scars Remind Us that Our Past is Real, Fundacio Joan Miro, Barcelona; Roots also grow in concrete, MacVal in Vitry-sur-Seine; The Field of Emotion, The Power Plant, Toronto; Museum of Contemporary Art, Sydney; Repairing the Invisible, SMAK, Ghent; Museum of Contemporary Art, Sydney; Sacrifice and Harmony, Museum für Moderne Kunst, Frankfurt/Main; The Injuries are Here, Musée Cantonal des Beaux Arts de Lausanne; Contre Nature, Beirut Art Center; Continuum of Repair: The Light of Jacob’s Ladder, Whitechapel Gallery, London; und KW Institute for Contemporary Art, Berlin, Met Breuer, New York; Kunsthalle Wien; MoMA, New York; Tate Modern, London; Centre Pompidou, Paris; sowie dem Solomon R. Guggenheim Museum, New York — um nur einige zu nennen. 2020 wirden seine Arbeiten unter anderem in einer Einzelausstellung im Kunsthaus Zürich, im MAHTAF in Doha, Quatar, im Museum of Modern Art in Moskau and at the Sec Pompeia zu sehen sein.
Auszeichnungen: Marcel Duchamp Prize (2016), Miró Foundation Prize, Barcelona und Yanghyun Art Prize, Seoul (2017).