Beim Betrachten von David Nicholsons Werk stellt sich immer wieder der Eindruck ein, dieser Künstler liebt die Extreme.
In seinen jüngst entstandenen Zeichnungen beschäftigt sich der Künstler einerseits mit Bedrohung, Kampf und Zerstörung. Nicholsons Kreide- oder Bleistiftstriche modellieren und schattieren Menschen- und Tierszenen, die Mord und Totschlag prophezeien, die brutale Gewalt und Folter darstellen. Es sind dies hoch brisante, politische Themen und doch sind Nicholson große Zeichnungen und gezeichnete Leinwände keine Zeugen tagespolitischer Geschehnisse. Nicholsons Darstellungen sind vielmehr Metaphern extrem menschlichen Verhaltens, das sich als quälerisch und todbringend erweist.
Nicholsons Werk beinhaltet andererseits erotische Darstellungen, die die Provokation suchen. Für ihn ist vor allem der nackte Frauenkörper ein Motiv unendlicher Inspiration und Herausforderung. Aufreizende bis fordernde Posen stellen ein narzisstisch weibliches Selbstbewusstsein zur Schau, welches auf Locken und Verführen ausgerichtet ist.
Die Galerie Michael Haas stellt diesen Werken Arbeiten von Otto Dix gegenüber, die Nicholson nicht nur kennt und schätzt, der Künstler sieht darin auch viele Analogien und Parallelen zu seiner Haltung.
Otto Dix schuf 1924 fünf Mappen mit Radierungen zum Thema „Krieg“, im Umfeld dazu und weit darüber hinaus viele Zeichnungen und Gemälde, die den unmenschlichen Zuständen des ersten Weltkrieges, vor allem aber dessen Auswirkungen und Opfern eine künstlerische Stimme gaben. Dix Frauendarstellungen beschreiben das Körperliche als Provokation. Weibliche Physis ist für ihn fett und lasziv oder skrupulös und leidend oder verbraucht und vernachlässigt.
Dix Teilnahme am ersten Weltkrieg machte ihn, wie viele andere Künstler in Deutschland, zum Opfer und Kriegsgegner. David Nicholson ist Kanadier, der in Berlin und in den USA lebt. Er ist nie direkt mit dem Krieg in Kontakt gekommen. Doch ist er ein Künstler und Mensch, der am politischen Geschehen seiner Zeit, an Missständen und Kriegsverbrechen Anteil nimmt. Mit seinen Bildern trägt er dieser Haltung Rechnung. Er weist auf Dinge hin, die ihn persönlich angehen und berühren, ohne anzuklagen oder zu feiern. Er sieht sich um, er stellt fest und zeigt – bis zur Erschütterung oder P
Nicholsons Kunst verlangt ein modernes, aufgeklärtes und liberales Publikum. Doch sind seine Themen so alt wie die menschliche Kultur. Nicholson hat dafür seine Sprache gefunden, seine Weise, über die Natur des Menschen zu räsonieren. Eine eigenwillige, manchmal verstörende Sprache. Sie spielt sich zwischen diesen beiden Extremen ab: zum Tod erstarren oder zum Leben gieren. Ein Prinzip menschlichen Seins. Was seit damals bis heute gleich geblieben ist, ist unser aller Suche nach Unsterblichkeit. Sie ist es eigentlich, die David Nicholson umtreibt.
(Text: Dr. Erika Költzsch)