Im Jahr 1964 verfasste Susan Sontag ein Essay mit dem Titel „Gegen Interpretation“[1] (Originaltitel:„Against Interpretation“). Die Kernaussage dieses sowohl kontroversen als auch bedeutenden Essays (Wenn man von dem Exkurs in die Entstehungsgeschichte der Mimetischen Kunst und des daraus resultierenden Kunstverständnisses und Kunstwertes in der westlichen Welt absieht) ist folgende: Die Befreiung der Kunst vom Interpretationszwang. Sontag plädiert für die sinnliche Wahrnehmung eines Kunstwerkes ohne eine hermeneutisch-intellektuelle „Mutmaßung“ und fordert ein Erleben und Beschreiben der Form, in der sich der Inhalt auflösen und nicht in Vordergrund treten sollte. Die Autorin macht auf die Tatsache aufmerksam, dass in der Rezeption und Kritik der literarischen und künstlerischen Werke die Form kaum noch als ein substantielles Element erkannt und beschrieben wird.
„Was wir sicherlich nicht mehr brauchen ist, die Umsetzung der Kunst in Gedanken...“ schreibt sie. Sollte die Kunst sich tatsächlich der Interpretation entziehen? Zähmen wir die Kunst durch die Projektion unserer Vorstellungen und machen wir diese für uns bequemer und begreiflicher? Worauf Sontag hinweist. Entfernt die Deutung des Betrachters das Kunstwerk von seinem Schöpfer?
Oder entscheidet sich hier Sontag tatsächlich für eine unbedarfte Haltung? Wie Hans Flatschek es formulierte: „Die Sontag, in kulturellen Dingen nicht unerfahren, nimmt hier trotzdem Stellung gegen eine reflektierte Kulturauffassung. Sie bezieht Partei für das, was Lukács einmal die „falsche Unmittelbarkeit“ genannt hat.“[2]
Mit diesen Fragen möchten wir durch diese Ausstellung die Künstler zu ihren Beiträgen anregen. Mit Jonah Gebka, Max Theo Kehl, Steffen Kern und Felix Klee zeigt Galerie Stefan Vogdt Papierarbeiten junger Künstler, die in erster Linie durch ihre visuelle Ästhetik in Erinnerung bleiben. Seien es die lyrischen Bilder von Jonah Gebka, in denen er durch meisterhaft- subtile Verwendung verschiedener Techniken unter anderem die Romantik der Aquarelllandschaften oder das Porträt als reines physiognomisches Muster untersucht. Oder die Porträts von Max Theo Kehl, welche in der Verbindung der ästhetischen Rezeption des Non-finito mit einer bestechend schön interpretierten, modernen Darstellungsweise der Substanz des Menschlichen mimetisch auf den Grund gehen.
Durch ihre Formvollendung und Makellosigkeit wirken die Kohlestiftzeichnungen von Steffen Kern zunächst als Fotografien oder Filmstills - doch anstatt einer fotografischen Wirklichkeitsfixation ist das vermeintliche Gegenteil, eine ambivalente und spannungsgeladene Fiktion zu sehen.
Wenn es möglich ist nicht abstrahierte, teils der Wirklichkeit entlehnte Leerstellen malerisch zu formulieren, und zwar so, dass das Weglassen zu noch größerer Hervorhebung des Dargestellten dient, die Vorstellungskraft auf Reisen schickt und Geschichten erzählt, dann ist es der Künstler Felix Klee, dem es sehr überzeugend gelingt.
Gemeinsam haben alle vier Künstler eines, sie erschaffen Bildwelten, welche einerseits in unserem kollektiven Gedächtnis verwurzelt sind, andererseits aber so neu und gekonnt visuell formuliert sind, dass sie uns neugierig machen, berühren und beeindrucken.
Die Künstler und das Galerieteam freut sich auf Ihren Besuch!
[1] Susan Sontag: „Kunst und Antikunst – 24 literarische Analysen“, aus dem Amerikanischen von Mark W. Rien; Hanser Verlag, München, 1980
[2]Hans Flatschek, Für und Gegeninterpretation, aus: 24 literarische Analysen, Zeit Archiv, 5. Dezember 1980
Bildlegenden:
Jonah Gebka, o.T., Buntstift, Acrylharz, Acryl und Tintenstrahldruck auf Papier, 29 x 21 cm, 2017
Max Theo Kehl, Katyush, Öl & Grafit auf Papier, 60x42 cm, 2016
Steffen Kern, O.T. (House), 25x20cm, Ölkreide auf Papier, 2018
Felix Klee, Black hole howl, Aquarell auf Papier, 21 x 29,5 cm, 2018
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