Im Kleinen das Große erkennen
Während uns täglich hunderte von aktuellen, perfekt aufbereiteten, mit Effekten und Informationen gespickten Bilder und unzählige weitere visuelle Reize erreichen, während wir mittlerweile diese immer mehr zu konsumieren, (be)werten und zu teilen imstande sind, zeigt uns der japanische Künstler Yamamoto Masao schwarz-weiße Analogfotografien von Miniaturbäumen, der sogenannten Bonsai und verschafft unserer reizüberfluteten Wahrnehmung damit eine kontemplative Ruhepause.
Auch in der neuen Serie dieses außergewöhnlichen Künstlers, der bereits mit seinen Bilderzyklen A Box of Ku und KAWA=FLOW bekannt geworden ist, sind die beinahe ikonenhaft platzierten, lakonischen Bildobjekte Verkörperungen einer Haltung, die in jedem Detail unserer natürlichen Umgebung ein Teil des großen Ganzen sieht. Yamamoto Masaos Auseinandersetzung mit den großen Fragen der Bedeutung und der Rolle unserer Existenz innerhalb des Universums, unserer Verbindung mit der Natur im weitesten Sinne und der daraus resultierenden Frage der philosophischen Perspektive, strahlt leise, aber deutlich durch jedes seiner Bilder.
In der aktuellen Werkreihe Bonsai – Microcosms Macrocosms geht Masao allerdings noch einen Schritt weiter und thematisiert die künstlerische Interaktion eines Menschen mit der Natur. Die Kunst der respektvollen Perfektionierung der Natur durch Menschenhand scheint in Form von Bonsai jene Verkörperung des Mikrokosmos gefunden zu haben, die Masao bereits in seiner vorherigen Zyklen in der Natur gesehen und mit so viel Ehrerbietung fotografiert hat. Diese ideale Form der Synthese fand Masao bei dem großen Meister der Bonsai-Kunst Minoru Akiyama, einer der besten und gefragtesten Bonsai-Künstler weltweit. Von Tokyo und New York bis Paris und Moskau kultiviert er neue und pflegt teilweise Jahrhunderte alte Bäume mit nachweisbarer Herkunft und einer langen Liste der Vorbesitzer. Schwarzkiefer, Wacholder, Kaki, wilde Pflaume, japanische Azalee und Ahorn als Quintessenz und Miniaturwunder der Natur auf einer Hand voll Erde und mit einer erstaunlichen atmosphärischen Wirkung. Die fotografische Auseinandersetzung mit diesem Bildobjekt vergleicht Masao mit der minimalistischen, aber stark symbolischen Beschaffenheit der Haiku-Dichtung und der Tradition der Shanshui-Malerei. Shanshui, eine Form der Landschaftsmalerei übersetzt die Natur in die Sprache der Kunst, indem sie aus ihr die spirituelle und philosophische Ebene filtert und auf das wesentlich reduziert, ähnlich wie die Haiku-Dichtung. Folglich veranschaulicht Yamamoto Masao mit seinen neuen Arbeiten ein Extrakt, einen auf das Wesentliche destillierten Ausdruck des großen Ganzen, damit wir es erkennen, damit wir verweilen. Nach der ersten, sehr erfolgreichen Ausstellung dieser neuen Werkreihe mit dem Titel Microcosm Macrocosm in der Alfred Ehrhardt Stiftung in Berlin werden die Bilder nun zum ersten Mal in München in der Galerie Stefan Vogdt gezeigt.
Yamamoto Masao, geb. 1957 in Gamagori in der japanischen Präfektur Aichi. Seinen ersten Ausstellungen 1994 und 1996 in San Francisco und New York folgten zahllose weitere in den USA, Europa, Japan, Russland und Brasilien. Januar 2018 Craig Krull Gallery, Santa Monica CA. Sammlungen in renommierten internationalen Museen wie im Museum of Fine Arts Houston, International Center of Photography New York, Victoria & Albert Museum London, Maison Européenne de la Photographie Paris u.a. Zahlreiche Buchveröffentlichungen in den USA, Spanien, Japan und Deutschland. Editorials für die NY Times, Los Angeles Times und etliche namhaften Kunstmagazine. Yamamoto lebt in Yatsugatake Nanroku, Präfektur Yamanashi.
Text: Tinatin Ghughunishvili-Brück, Kunsthistorikerin M.A.
Quellen: Alfred Ehrhardt Stiftung, Berlin (Text zur Ausstellung)
Abbildung: Yamamoto Masao, #4004, Bonsai - Microcosm Macrocosm, 2018, Silbergelatineabzug