Grossformate spielten von jeher eine bedeutende Rolle in der Kunstgeschichte. Sei es im Alten Ägypten die Pyramiden, Götterstatuen oder Wandbilder, im alten Rom die Standbilder der Kaiser und Feldherren oder im Zeitalter der Gotik die „in den Himmel hinein ragenden Kathedralen“. Dem Grossformat kam über viele Jahrhunderte die Funktion zu Macht, Ruhm und Reichtum widerzuspiegeln, oder den gesellschaftlichen Stand einer Person zu zeigen. Kirche und Papst oder auch der wohlhabende, bürgerliche Auftraggeber schmückten ihre Paläste mit opulenten Fresken, Statuen und Portraits, die gesehen werden wollten. Die Aufmerksamkeit ist dem Grossformat auch heute noch gewiss. Dennoch hat sich die Funktion des Grossformates in der Gegenwart verlagert. Künstler wählen es heute vermehrt um sich künstlerisch frei auszuleben. Sie sind nicht mehr vorrangig an einen Auftrag(-geber) oder ein Motiv gebunden, genauso wenig wie an einen bestimmten Bildträger. Der ganz eigene Stil eines jeden Künstlers kommt zum Tragen, wie auch in unserer Ausstellung zu entdecken sein wird.
Bei grossformatigen Werken der Gegenwart ist Georg Baselitz (*1938) nicht wegzudenken. Mit seinem Linolschnitt „Indianergrab“ von 2002 ist er mit dem einzigen grafischen Werk in der Ausstellung vertreten. Bereits 1977 schuf er die ersten grossformatigen Linolschnitte, womit er die Technik für diese Zeit neu entdeckte und sie noch bis heute in seinem Werk verwendet. Darío Basso (*1966) verarbeitet die Ideen seiner Skizzen auf bis zu fünf Meter hohen Leinwänden. Oft entstehen diese in der freien Natur, wobei die Umgebung, das Wetter und direkte oder indirekte Naturgewalten in das Werk mit einbezogen werden bzw. dieses mitgestalten, so wie in dem ausgestellten Werk „Accatone“ von 2005. Während in der Ausstellung in den Gemälden von Giuseppe Gallo (*1954), Bernard Schultze (1915-2005), Bernd Zimmer (*1948), Karl Horst Hödicke (*1938), Salomé (*1954) oder Fred Thieler (1916-1999) der Bildträger vollständig abstrakt, zum Teil expressiv mit Farbe ausgefüllt ist, lädt das Werk von Robert Klümpen (*1973) ein, durch seine übergrosse Darstellung eines „Tunnels“ sich dessen Illusion hinzugeben. Das Gemälde und der physische Raum verschmelzen, nicht zuletzt aufgrund der Bildgrösse, die etwa einer Wandgrösse entspricht. Ebenso bei der übermalten Fotografie des griechischen Objekt- und Installationskünstlers Nakis Panayotidis (*1947), der auf über zwei Metern ein Gewässer mit Ufer und einem Horizont zeigt und dem Betrachter somit ebenfalls eine Illusion liefert, die lediglich durch die nachträgliche Überarbeitung der Fotografie durchbrochen wird. Einen Kontrast zu den farbig expressiven Werken bilden monochrome Arbeiten von Nunzio (*1954), Darya von Berner (*1960), die eine fotorealistische Darstellung eines Hirsches in unterschiedlichen Rottönen zeigt sowie von Pizzi Cannella (*1966), dessen monochrom dunkle Farbfläche durch goldfarbene Partien durchbrochen wird. Auf Giovanni Manfredinis (*1963) Werk erblickt man lediglich zwei Farben: einen weissen nackten männlichen Körper auf schwarzem Grund. Er arbeitet mit einer besonderen Mischtechnik auf Holz, mit welcher er seinen eigenen Körper auf ein überlebensgrosses Tondo überträgt. In der grossformatigen Skulptur greift Bernard Schultze unterschiedliche Materialien auf, wie Draht, Textilien und Plastikmasse, die er farbig einfasst, während Karl Hartung (1908-1967) eine organisch anmutende Form aus Bronze schafft. Das Künstler-Duo Kubach-Wilmsen hat stattdessen das Buch zu ihrem Thema in der Skulptur gemacht. Hierfür bearbeiteten sie 20 Steine aus allen Kontinenten zu einem 1,80m grossen Buchturm. Bei der Skulpturengruppe „I Giocolieri – Die Spieler“ von Daniel Spoerri sowie der filigranen hohen Skulptur von Giuseppe Maraniello mit dem Titel „Ri-tratto“ begegnet man zwei auf spielerisch humorvolle Weise ausgeführten grossformatigen Werken. Jürgen Brodwolf (*1932), bekannt für seine Tubenfigur, die seit 1959 sein künstlerisches Schaffen beherrscht, entwickelte ausgehend von dieser seit den 70er Jahren Bleifiguren und Leinwandfiguren, die nicht mehr an die vorgegebene Tubengrösse gebunden waren und es ihm somit ermöglichten, in unterschiedlichen Massstäben – auch grossformatig – zu arbeiten. In der Ausstellung werden zwei menschengrosse Figurenkästen gezeigt, in dem jeweils eine aus Leinen und anderen Materialien geschaffene Figur eingebettet ist und dem Betrachter aufgrund ihrer Grösse als ein Gegenüber begegnet. Daniel Spoerri (*1930) vereint die Gattung des Gemäldes mit der Gattung der Skulptur indem er eine grossformatige Assemblage aus gefundenen Objekten (Objets Trouvés) arrangiert. Die dreidimensionalen Objekte sind auf einem zweidimensionalen Träger montiert, welcher an der Wand angebracht ist. Der Betrachter wird zunächst nicht nur durch die Vereinigung zweier Gattungen irritiert, sondern auch mit Gebrauchsgegenständen wie Abwegigem, die zusammengesetzt eine übergrosse Wandinstallation bilden. Doch nicht nur die Materialien variieren dabei in den einzelnen Werken, sondern auch die Proportionen des Grossformates. So schafft Paolo Serra ein überlanges, horizontales Format, welches ebenfalls ausgehend vom Titel „Orizzonte Cinese“ mit dem Horizont assoziiert werden kann. Kontrastierend dazu stehen die farbenfrohen Gemälde des Deutsch-tschechischen Künstlers Jiri Georg Dokoupil (*1954), deren Höhe nahezu Vier Mal so lang ist wie die Breite. Wie unterschiedlich das Grossformat innerhalb eines Œuvres bearbeitet wird, zeigen zwei Werke von Alfonso Hüppi (*1935). In der monochromen Arbeit „Bogenfeld 1“ schafft Hüppi ein Holzrelief, während er in „Tafel 6“ mit Eitempera auf einer Tischlerplatte ein expressiv farbiges Werk kreiert. Das Sujet des „Grossformates“ zeigt in der Ausstellung, wie vielfältig dieses eingesetzt werden kann, wie die Künstler damit spielen und wie der Betrachter dadurch beeinflusst werden kann. Eine Figur, die der Grösse des Menschen entspricht, oder ein illusionistisch geschaffener Raum lösen womöglich ein Gefühl der Vertrautheit aus, während eine überlebensgrosse Darstellung Ehrfurcht erzeugen kann. Sie als Betrachter sind herzlich eingeladen, dies für sich selbst in der Vielfalt der Grossformate in unserer Ausstellung herauszufinden und zu entdecken.
Katharina Sagel und Elisabeth Schröder
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Large formats have always figured prominently in art history. Be it the pyramids, statues of deities, or murals in ancient Egypt; the statues of the emperors and generals in Rome, or the Gothic “cathedrals that rise up to the sky.” Over many centuries, the large format was assigned the function of reflecting power, fame, and wealth or of demonstrating a person’s social status. The church and the pope, or even affluent middle-class customers decorated their palaces with opulent frescos, statues, and portraits that wanted to be seen. Even today, the large format continues to attract attention. Yet its role has shifted. Today, artists increasingly choose it in order to freely express themselves artistically. They are no longer primarily bound to a commission, a client, or a motif, just as little as they are to a specific support. The individual style of each artist becomes important, as will also become apparent in our exhibition.
It is not possible to imagine contemporary large-format works without George Baselitz (*1938). He is represented in the exhibition by his linocut “Indianergrab” from 2002, the only print on display. He created the first large-format linocuts as early as in 1977, with which he rediscovered the technique for this period, a technique that he continues to use in his oeuvre to this day. Darío Basso (*1966) processes the ideas from his sketches on canvases up to five meters in height. They are often produced outdoors, whereby the surroundings, the weather, and the direct or indirect forces of nature are included in the work or contribute to its creation, such as in the exhibited work “Accatone” from 2005. Whereas in the exhibition the support in paintings by Giuseppe Gallo (*1954), Bernard Schultze (1915-2005), Bernd Zimmer (*1948), Karl Horst Hödicke (*1938), Salomé (*1954), or Fred Thieler (1916–1999) is entirely abstract or in part filled in expressively with paint, the work by Robert Klümpen (*1973), an over-sized depiction of a “Tunnel,” invites viewers to indulge in its illusion. The painting and the physical space merge, not least due to the picture’s dimensions, which roughly correspond with the size of the wall. This likewise holds true for the overpainted photograph by the Greek object and installation artist Nakis Panayotidis (*1947), which on more than two meters presents a body of water and a horizon and hence likewise supplies the viewer with an illusion that is only broken by the subsequent reworking of the photograph. Monochrome works by Nunzio (*1954), Darya von Berner (*1960), which features a photorealistic depiction of a stag in various shades of red, as well as by Pizzi Cannella (*1966), whose monochromatically dark colour field is penetrated by gold-coloured areas, form a contrast to the colourfully expressive works. All one sees in Giovanni Manfredini’s (*1963) work are two colours: a white, nude male body on a black background. He works with a special mixed-media technique on wood with which he transfers his own body to a larger-than-life-sized tondo. In his large-format sculpture, Bernard Schultze takes up different materials, such as wire, fabrics, and plastic material, which he surrounds with colour, while Karl Hartung (1908–1967) creates a seemingly organic form out of bronze. The artist duo Kubach-Wilmsen instead made the book the subject of their sculpture, for which they processed 20 stones from all of the continents to produce a 1.8-meter-tall book tower. In the case of the sculptural group “I Giocolieri – Die Spieler” (Players) by Daniel Spoerri as well as the tall filigree sculpture by Giuseppe Maraniello entitled “Ri-tratto” one encounters two large-format works carried out in a playfully humorous way. In the 1970s, Jürgen Brodwolf (*1932), famous for his tube figure, which has dominated his creative work since 1959, developed lead and canvas figures based on these that were no longer bound to the prescribed tube size, permitting him to work in various dimensions – including in large formats. Two life-sized figure boxes are on display in the exhibition, in each of which is embedded a figure created out of linen and other materials and which due to their size viewers encounter a vis-à-vis. Daniel Spoerri (*1930) joins the genre of the painting with that of the sculpture by arranging a large-format assemblage out of “objets trouvés”. The three-dimensional objects are mounted on a two-dimensional support that has been attached to the wall. The viewer is initially irritated not only by the union of two genres, but also by objects of everyday use as well as odd objects joined to produce an oversized wall installation. However, the materials not only vary in the individual works, but the proportions of the large-format as well. Paolo Serra creates an overlong, horizontal format that, likewise based on its title of “Orizzonte Cinese,” can be associated with the horizon. These contrast with colourful paintings, whose height is nearly four times their width, by the German-Czech artist Jiri Georg Dokoupil (*1954). Two works by Alfonso Hüppi (*1935) demonstrate just how differently the large format is processed within one oeuvre. He creates a wooden relief in the monochrome work “Bogenfeld 1,” while in “Tafel 6” he uses egg tempera to produce an expressively colourful work on a blockboard. In the presentation, the subject of the “large format” demonstrates how diversely it can be employed, how the artists play with it, and how the viewer can be influenced by it. A life-sized figure or an illusionistically created space may elicit a feeling of familiarity, while a larger-than-life-sized portrayal can engender awe. As viewers, you are cordially invited to find this out for yourself in the wide variety of large formats in our exhibition.
Katharina Sagel and Elisabeth Schröder
(Translated by Rebecca van Dyck)