Wir freuen uns sehr, eine Doppelausstellung von Slawomir Elsner (*1976 in Wodzisław Slaski, Polen,
lebt und arbeitet in Berlin) und Uwe Wittwer (*1954 in Zürich, lebt und arbeitet in Zürich) zu
präsentieren. Die Ausstellung ist der Initiative von Uwe Wittwer zu verdanken. Er kennt Slawomir
Elsner von Berliner Begegnungen und dachte sich, dass ein gemeinsames Projekt reizvoll wäre.
Elsner war begeistert von diesem Vorschlag, und die Künstler einigten sich auf ein Projekt, in dem
sich ihr Interesse für die Kunstgeschichte, insbesondere für die Alten Meister, zeigt.
Die Arbeiten von Elsner und Wittwer in der Ausstellung beruhen direkt auf den grossartigen Bildern
der Berliner Gemäldegalerie. Im Trubel der Gegenwartskunst, der Vielzahl von Galerien und
Ausstellungsorte für zeitgenössische Kunst in Berlin wird der Gemäldegalerie oftmals nicht die
Aufmerksamkeit geschenkt, die sie verdient, – sie bewahrt nämlich eine der bedeutendsten
Sammlungen europäischer Malerei vom 13. bis 18. Jahrhundert. Die Gestaltung unserer
Einladungskarte nimmt zwei Farben der Wandbespannung in der Gemäldegalerie auf: Die Bilder der
italienischen Kunst hängen auf altrosa, diejenigen der holländischen Malerei auf grünem Stoff. Der
Titel der Schau, Abraham – Ovid – das Andere, umreisst die Vielfalt der Themen, denen sich Elsner
und Wittwer in ihren ausschliesslich auf Papier gefertigten Arbeiten widmen. Die drei Begriffe stecken
das ikonographische Feld ab, indem sich die beiden Künstler bewegen: Abraham und Ovid stehen
für die religiösen bzw. mythologischen Referenzen, das Andere umfasst Stillleben, Landschafts- und
Genremalerei – Sujets eines im 17. Jahrhundert aufkommenden Bürgertums.
Die Bilder der Gemäldegalerie sind die Referenzen für beide Künstler, aber mit einem gewichtigen
Unterschied: Alle Bilder, auf die sich Wittwer in seinen Appropriationen bezieht, sind verschollen. Sie
sind gegen Ende des Zweiten Weltkriegs in einem Flakturm im Volkspark Friedrichshain im östlichen
Teil von Berlin verbrannt oder daraus entwendet worden. In der mächtigen Befestigungsanlage waren
auf über 700m2 Bilder der Gemäldegalerie eingelagert; eine grosse Anzahl der über 600 Bilder ist
vermutlich am 6. Mai 1945 verbrannt oder nach dem Brand geplündert worden. Diese Bilder waren
ausgezeichnet fotografisch dokumentiert, aber aufgrund der damaligen technischen Möglichkeiten
lediglich in Schwarzweiss. Diese Tatsache hat Wittwer aufgenommen, in dem er seine Bildadaptionen
konsequent schwarzweiss ausführte. Wittwers Entscheidung ermöglicht es dem Publikum, auf den
ersten Blick zu erkennen, wer der Autor der Bilder ist – seine Bilder sind schwarzweiss und negativ,
diejenigen von Elsner farbig, da er mit Farbstiften seine Bildvariationen kreierte. Beide Künstler
befolgten, unabhängig von der Wahl der Technik, ein wichtiges Kriterium, ihre Bilder entsprechen
exakt der Grösse ihrer Vorbilder.
Im Eingangsraum der Galerie, deren Wände grau bemalt sind, hängt von Elsner eine
Farbstiftadaption von Caravaggios (1571-1610) Amor als Sieger (1601/02), eines der Paradebilder
der Gemäldegalerie. Die Appropriation von Elsner verlangt in seiner Grösse und „genauen Unschärfe“
eine gewisse Entfernung des Betrachters, weshalb das Bild die kurze gegen den Ausstellungsraum
hin offene Stirnwand besetzt. Die vielen Bündel von geraden, scharf gesetzten Farbstiftlinien lösen
sich in der Betrachtung aus der Distanz in von innen leuchtende, fast abstrakte Farbballungen auf.
Der nackte Amor in Lebensgrösse scheint sich wie hinter Milchglas auf das Publikum hin zu
bewegen. Auf der langen Wand hängt die Appropriation von Wittwer der rätselhaften Versuchung des Heiligen Antonius von David Teniers d.J. (1610-1690). Im Hauptraum der Galerie befindet sich in
einer Petersburger Hängung eine Gruppe von Appropriationen von Wittwer. In ihrer dichten
Präsentation vermittelt diese Anordnung einen Eindruck der Hängung, wie sie in der früheren
Gemäldegalerie gewesen sein könnte. Ausserdem ist die schwarzweisse Präsentation und die
Auswahl eine Reminiszenz sowohl an die verlorenen Bilder, – Wittwer spricht von „einer Erinnerung
an die Erinnerung“ –, als auch an die Geschichte des Geschmacks und der Vorlieben, wie sie für die
Sammeltätigkeit des preussischen Fürstentums und der bürgerlichen Gesellschaft des 17. bis 20.
Jahrhundert bestimmend war. In dieser Gruppe befinden sich eine achsensymmetrische
Mariendarstellung mit Kind nach Giovanni Bellini (1437-1516), ein verspieltes Stillleben nach Jan van
Huysum (1682-1749), eine Allegorie des Sündenfalls und der Erlösung in schmalem Format mit
barocken Arabesken nach Franz Anton Maulbertsch (1724-1796), ein verfremdetes Stillleben nach
Davidsz de Heem (1631-1695), ein in wiederkehrende Bildfelder unterteiltes Stillleben nach Pieter
Claesz (1597-1661), eine holländische Landschaft mit Windmühle nach Claes Piersz Berchem (1620-
1683) und ein Seestück mit fingierten Glassplittern und Fensterdurchblick nach Jan van de Capelle
(1626-1679). In diesen Arbeiten entfaltet Wittwer sein grosses Können im Medium des Aquarells. Die
Vorbilder laden ihn zu spannenden Bildvarianten und -verfremdungen ein; auffallend ist, dass Wittwer
besonders von der barocken, malerischen Wucht und dem Erfindungsreichtum dieser Epoche
angezogen ist. Diagonal gegenüber der dichthängenden Gruppe setzt Wittwer zwei Varianten von
Stillleben erneut nach Huysum: Würdigungen eines Künstlers der holländischen Stilllebenmalerei, der
für einen wachsenden Markt malte, und wiederkehrende Zeugen der Sammlungsgeschichte der
Berliner Gemäldegalerie.
Die Bilder von Elsner sind sparsam in den Raum gesetzt. Sie leuchten wie Perlen auf der dunklen
Wand. Elsners Wahl für seine Appropriationen fiel auf unterschiedliche Themen und Formate. Neben
einer beinahe in die Abstraktion verwandelten Adaption des szenischen Bildes Simson und Delila
(1629/30) von Rembrandt (1606-1669) leuchtet das Genrebild eines Innenraums mit drei Figuren vor
rotem Viereck, das eine elterliche Ermahnung nach Gerard ter Borch (1612-1681) wiedergibt.
Diagonal gegenüber finden sich drei weitere Bildvarianten von Elsner. Neben einer wunderbar zarten
Adaption des Bildes der Tanz (1719) von Jean-Antoine Watteau (1684-1721), in dem sich die
Rokoko-Figuren in einem Farbenflimmer auflösen, hängt eine kleine nackte Lucretia nach Lucas
Cranach d.Ä. (1472-1555), die durch die Farbstiftstriche hervorscheint. Daneben befindet sich eine
Darstellung von Salome mit dem Haupt Johannes des Täufers (1630) nach Bernardo Strozzi (1581-
1644). Die dramatische Szene ist bei Elsner eingefroren in die künstlerische Umsetzung, durch die er
Handlungen und Stimmungen der bestehenden Gemälde verdichtet und neu interpretiert.
Die Ausstellung von Uwe Wittwer und Slawomir Elsner ermöglicht Einblicke in die Arbeitsweise und
dem Interesse der beiden Künstlerfreunde. Ein direkter Vergleich der Arbeiten bietet sich nicht an, da
beide Künstler von unterschiedlichen Prämissen ausgegangen sind: Uwe Wittwer konzentrierte sich
auf die verschollenen Bilder und auf die Aquarelltechnik in schwarzweiss, wohingegen Slawomir
Elsner auf die bestehenden Bilder und eine Technik mit Farbstiften fokussierte. Erkennbar ist, dass
beide Künstler sich in ihren Bildadaptionen feine künstlerische Freiheiten ausnahmen und somit die
Bilder produktionsästhetisch neu definierten. In dieser Ausstellung wird die Begeisterung und
Faszination fassbar, die sowohl Wittwer als auch Elsner für die Alten Meister empfinden und die sie
dem heutigen Publikum vermitteln.
Die Eröffnung findet in Anwesenheit von Slawomir Elsner und Uwe Wittwer am Samstag, 31. Oktober
2015 von 14 bis 18 Uhr statt.
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We are very pleased to present a double feature exhibition with works by Slawomir Elsner
(*1976 in Wodzisław Slaski, Poland, lives and works in Berlin) and Uwe Wittwer (*1954 in Zurich,
lives and works in Zurich). The exhibition originated thanks to Uwe Wittwer’s initiative. He knows
Slawomir Elsner from encounters in Berlin and thought, that a common project would be
appealing. Elsner was enthusiastic and the artists agreed on a project in which their mutual
interest for art history, especially for the old masters, is the subject matter.
The works by Elsner and Wittwer in the exhibition rely directly on the magnificent paintings in the
Berliner Gemäldegalerie. Through the hype for contemporary art, the sheer number of galleries
and exhibition spaces in Berlin, the treasures of the Gemäldegalerie often don’t deserve the
attention they should – as the collection of European paintings from the 13th to 18th century is
one of the most significant in the world. The design of our invitation card hints to the picture
galleries’ interiors as it picks up two colours of the fabric on the wall: The paintings of the Italian
art hang on antique pink, the Dutch paintings on green fabric. The title of the show, Abraham –
Ovid – das Andere, designates the manifold subjects Elsner and Wittwer deal with in their
exclusively on paper produced works. The three terms define the iconographic field the two
artists navigate: Abraham and Ovid refer to the religious and mythological themes, das Andere
(the other) captures the remaining subjects still life, landscape and genre paintings – topics to
please the raising bourgeoisie from the 17th century onwards.
The paintings of the Berlin picture gallery are the references for both artists but with one
important difference: All paintings on which Wittwer in his appropriation refers are lost. Either
they burnt by the end of the Second World War in a massif defensive fortification in the
Volkspark Friedrichshain in the eastern part of Berlin, or they have been looted after the war.
The fortification stored over more than 700 square meters around 600 paintings, from which the
majority probably burnt on May 6, 1945. These paintings were most accurately registered and
photographed but due to the then technical possibilities mostly in black and white. This fact
Wittwer incorporates in his works by realising his appropriations exclusively in black and white.
Wittwer’s choice enables the viewer to differ on first sight which of the two artists is the author
of the works – Wittwer’s work are black and white and negative, the one’s by Elsner colourful as
they are all created with coloured crayon. Both artists followed independently from the choice of
their technique an important criteria, her works correspond exactly with the measurements of
their models.
In the entrance space of the grey painted gallery hangs an adaption in coloured crayon by
Elsner of Caravaggios (1571-1610) Amor Vincit Omnia (1601/02), one of the highlights of the
Berlin picture gallery. As the appropriation requires because of its measurements and “exact
blur” a certain distance by the beholder, the drawing hangs on the small wall facing towards the
room. The many bundles of straight, sharply applied coloured pencil lines dissolve from the
distance into abstract colour configurations. The life-sized naked amor appears to be behind
opal glass and to move towards the public. On the long wall hangs the appropriation by Wittwer the main space of the gallery is in a “Petersburger” hanging a group of appropriations by
Wittwer. In their dense presentation this group of works alludes to the impression of the hanging
order as it might have been in the former picture gallery. Furthermore the black-and-white
presentation and the selection is a reminiscence of both the lost paintings, – Wittwer speaks of
“a remembrance of a remembrance“ –, and the history of the taste and the preferences as
expressed in the collection of the Prussian principality and the bourgeois society from the 17th
century onwards. This group includes seven drawings: an axis-symmetric depiction of Maria
with Child after Giovanni Bellini (1437-1516); a playful Flower-piece in a Niche after Jan van
Huysum (1682-1749); an Allegory of the Fall of Mankind and Salvation in slender format with
baroque arabesque after Franz Anton Maulbertsch (1724-1796); an alienated still life after
Davidsz de Heem (1631-1695); a further still life after Pieter Claesz (1597-1661) subdivided in
recurrent image areas; a Dutch landscape with a wind mill after Claes Piersz Berchem (1620-
1683) and a seascape with simulated glass splinters creating a view through a window by Jan
van de Capelle (1626-1679). In these works Wittwer unfolds his great mastery of the
watercolour technique. The lost models invite him to probe exciting variations and alienations; it
is telling that Wittwer is especially attracted by the painterly determination and inventiveness of
the Baroque period. Diagonally opposite of the cluster of works Wittwer places two variations of
the still lifes after Huysum, – appraisals of an artist of the Golden Age of Dutch art, who painted
for an increasing market and is a recurrent witness of the history of the Berliner Gemäldegalerie.
The images by Elsner hang sparingly in the gallery space. They glow like pearls on the dark
walls. Elsner’s choice for his appropriations fell on different subjects and sizes. Next to a nearly
into abstraction transformed adaption of the image Samson and Delilah (1629/30) by
Rembrandt (1606-1669) glows the genre image of an interior with figures and a red rectangle,
depicting a parental admonition after Gerard ter Borch (1612-1681). Diagonally opposite are
three more variations of images by Elsner. Next to a wonderfully tender adaption of the painting
Dance (1719) by Jean-Antoine Watteau (1684-1721), in which the Rococo figures dissolve into
a glimmer of colours, hangs a naked Lucretia after Lucas Cranach the elder (1472-1555),
appearing through the colour crayon lines. On her left is a representation of Salome with the
Head of John the Baptist (1630) after Bernardo Strozzi (1581-1644). Elsner has frozen the
dramatic scene through his artistic conversion – newly interpreting and intensifying the prevailing
action and mood of the existing painting.
The exhibition by Uwe Wittwer and Slawomir Elsner allows inside views in their working
methods and the interests of the two artist’s friends. A direct comparison of the works is not
really rewarding as each of the artists follows completely different parameters: Uwe Wittwer
focus on the lost paintings and the watercolour technic in black and white. Whereas Slawomir
Elsner concentrates on the existing paintings and his technique with coloured crayon. It is
noticeable for both artists though, that they take some gentle liberties in their image adaptions
and therefore define the images anew. In the exhibition the enthusiasm and fascination is
tangible Uwe Wittwer as well Slawomir Elsner hold for the paintings of the Old Masters, and
their common ardour Is evident to share their sensations with a contemporary public.
The opening reception takes place in the presence of Slawomir Elsner and Uwe Wittwer,
Saturday, 31 October 2015 from 2 to 6 pm.