Variety 1
wiedemann/mettler - body search
16. März bis 13. April 2013
Eröffnung: Freitag, 15. März 2013, 18 bis 20 Uhr
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In unserem neuen Ausstellungsgefäss Variety präsentieren wir Einzelprojekte und konzentrierte
Gruppenausstellungen mit einer kurzen Laufzeit. Den Anfang dieser Ausstellungsreihe macht das
Schweizer Künstlerpaar wiedemann/mettler mit der Schau body search.
...und da es, in seiner Einförmigkeit und Uferlosigkeit, nichts, als den Raum, zum Vordergrund hat, so ist
es, wenn man es betrachtet, als ob einem die Augenlider weggeschnitten wären.
Heinrich von Kleist
In der Ausstellung body search entfalten wiedemann/mettler eine verblüffende Dramaturgie. Den Auftakt
macht ein zartes, rosa Stoffobjekt mit dem Titel Bazooka. Im zweiten Raum trifft das Publikum auf die
Rückenansichten von 45 Porzellanfiguren, die in Reih und Glied auf einem hohen Sockel stehen. Zu
ihrer Rechten hängt ein grosses Bügelperlenbild namens color search, in dem das Künstlerduo die
malerische Tradition der Farbfeldmalerei mit anderen Mitteln erprobt. Das Bild strahlt eine farbliche
Harmonie und Fröhlichkeit aus.
Dieser heitere Gesamteindruck der Ausstellung wird bei der Betrachtung der Porzellanfigurenschar von
vorne abrupt gebrochen – jeder einzelnen Figur wurden nämlich mit grosser Genauigkeit die Augen
durchbohrt. Die klaffenden Löcher stören die sonst von den schmelzenden Porzellanfiguren vermittelte
bürgerliche Gemütlichkeit – es ist, als würden die Betrachterinnen und Betrachter von den nicht mehr
vorhandenen Blicken der Porzellanfiguren durchbohrt. Die Ausstellung von wiedemann/mettler besitzt
eine genaue dramatische Struktur, in der festgefahrene Vorstellungen hinterfragt und entlarvt werden.
Erläuterungen zur Ausstellung body search von wiedemann/mettler:
Bazooka
Ein grosses, weiches, rosa Bildobjekt begrüsst den Besucher der Ausstellung body search in der
Galerie Lullin + Ferrari. Abertausende kleine, weisse, verschieden grosse Pünktchen überfluten den
weichen Baumwollsamt. Beim näheren Betrachten des Bildes stellt man fest, dass sich die kleinen
Flecken in das Gewebe hineingeätzt haben. Hier haben die Künstler nicht Farbe auf eine Oberfläche
aufgetragen, sondern mittels einer bleichenden Lauge – dem Javelwasser – Farbe aus
der Textilie herausgezogen. Diese Arbeit verstehen wir als umgekehrte Malerei. Wir entnehmen dem
Untergrund partiell Farbpigmente und lassen auf diese Weise eine Struktur, ein Muster aufkommen.
Während vieler Stunden werden kleine Tröpfchen Javelwasser mittels eines Pinsels auf den Stoff
getupft. Nach und nach frisst sich die Lauge immer tiefer in das hochflorige Gewebe und entfernt an
diesem Ort die Farbe. Leicht und leuchtend wirken die vielen farblosen Stellen wie Sternenstaub beim
Sonnenuntergang.
Color Search
Ein grosser Farbteppich hängt an der Wand. Der Farbenrausch wölbt sich aus der Fläche in alle
Richtungen und erscheint so wie ein flacher Körper. Die 108 Farbfelder sind nach einem Schema
angelegt. Nie erscheinen die gleichen Farben in der Horizontalen oder in der Vertikalen auf der gleichen
Ebene. Das textilartige Wandobjekt besteht aus 90'828 Einzelteilen, die zusammengebügelt diesen
bunten Quilt aus Kunstoffperlen bilden. Die Farbenpracht leuchtet in den Raum und stellt Farbe als
Körper, als Material dar. Einige der Felder sind aus Leuchtperlen hergestellt und spannen in der
Dunkelheit ein Muster von geheimnisvoll glimmenden Orten auf.
Body Search
Auf einem grossen, rechteckigen Podest stehen 45 Porzellanfiguren. Alle kehren dem Betrachter den
Rücken zu. Nach Grösse geordnet stehen sie da, wie eine zerbrechliche Miniaturarmee, schön in Reih
und Glied. Ballerinen, dicke Engelchen mit Bambis, Gottheiten, verträumte Mädchenfiguren mit
Blumenkörbchen, musizierende junge Männer, spielende Kinder. Alles was die traditionelle
Porzellanmanufaktur seit Jahrhunderten produziert findet sich in dem kostbaren Ensemble. Während
einiger Monate haben wir im Netz auf der ganzen Welt alle diese Figuren ersteigert. Die Objekte aus
Amerika, Australien und aus einigen Ländern Europas wurden uns von den ehemaligen Besitzern per
Post zugeschickt. Jede dieser Figuren hat eine uns unbekannte Geschichte. Das Püppchen stand
vielleicht auf einem Fernseher in Italien, in einer Wohnwand in Bonn oder auf einem Beistelltischchen in
Vermont. Als stumme Zeugen haben sie das Leben ihrer Besitzer beobachtet. Alle Figuren haben, mehr
oder weniger gut verpackt, einen langen Weg hinter sich und alle sind unversehrt bei uns angekommen.
Oft bekamen wir kleine Briefe und Süssigkeiten mitgeschickt. In einem Paket fanden wir neben der
Porzellanelfe ein Päckchen Chips und weisse Schokoladentierchen. Eine Gabe für die Elfe, welche auf
Reisen geht? Als alle Figuren heil bei uns gelandet waren, haben wir uns an die Arbeit gemacht. Mit
einem speziellen Diamantbohrer haben wir den Engeln und all den andern Wesen die Augen
ausgebohrt. Das Feingefühl, das wir bei der Bohrung anwenden mussten widerspricht diametral der
Aussage des Ergebnisses. Die schwarzen Löcher prangen aus den runden Gesichtern. Wo Augen
lieblich in die Welt blickten, klaffen nun die immer gleich grossen Löcher und starren den Betrachter an.
Aus süssen Nippes wurde mit einem minimalen Eingriff eine beeindruckende Prozession.
wiedemann/mettler, Zürich im Februar 2013
Seit 2002 arbeiten Pascale Wiedemann (geb. 1966) und Daniel Mettler (geb. 1965) zusammen an einem
Werk, das äusserst vielfältig ist und verschiedenste Medien berücksichtigt.
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Variety 1:
wiedemann/mettler – body search
16 March to 13 April 2013
Opening reception: Friday, 15 March 2013, from 6 to 8pm
In our new exhibition series called Variety we are showcasing individual projects and curated group
exhibitions with a short duration. The start of this series of exhibitions is made by the Swiss artist
couple wiedemann/metter with their show called body search.
...and as it has, in its uniformity and boundlessness, nothing, but the space, towards the foreground,
it is therefore, when you look at it, as if one's eyelids had been cut away.
Heinrich von Kleist
In the show body search wiedemann/mettler unfold a stunning dramaturgy. The prelude is given by
a delicate, soft pink textile object with the title Bazooka. In the second room the public encounters
the back view from 45 figurines, standing in file on a high pedestal. On their right hangs a large
Hama-beads-image titled color search, in which the artist duo is sampling the tradition of colour
field painting with other means. The picture generates a colourful harmony and cheerfulness.
This carefree, even happy first impression of the exhibition is broken short through the frontal view
of the band of figurines – now the viewer sees that the eyes of each of the figures have been
meticulously drilled through. The gaping holes disturb the bourgeois cosiness typically emanated
from the tender figurines – it is as would the viewers been pierced by the nonexistent glance of the
figurines. The exhibition by wiedemann/mettler has a strict dramaturgical structure, questioning and
unmasking gridlocked ideas and concepts.
Annotations by wiedemann/mettler for the show body search:
Bazooka
A large, soft pink image object greets the viewer of the exhibition body search in the gallery Lullin +
Ferrari. Plenty of small, white, different large dots overflow the soft cotton velvet. On a closer look
the viewer detects, that the small spots have been burned into the fabric. Here the artists have not
applied colour on a surface, but have with a bleaching base, the Javelle water, extracted colour
from the textile. We consider this work as an inversed painting. We are partially removing from the
ground of the textile colour pigments and are thus generating a structure, a pattern. During many
hours small drops of Javelle water are dabbed with a small brush on the fabric. Bit by bit the acid
bites further deep into the high pile textile and removes on this spot the colour. Light and bright the
many colourless spots appear like dust of stars at sunset.
color search
A large colour carpet is attached to the wall. The rush of colours arches from the plane in all
directions und seems like a flat body. The 108 colour fields follow a scheme: Neither the same two
colours appear horizontally nor vertically on the same level. The textile imitating wall object consists
of 90'828 single elements, which forms, ironed together, this colourful quilt of plastic pearls. The
glory of colours glows into the room and depicts colour as body and material. Some of the colour
fields are made of glowing pearls and draw into the dark patterns of mysterious, fluorescent spots.
body search
On a large rectangular high pedestal stand 45 figurines. All are turning their backs towards the
viewer. Arranged by size they are presented like a fragile miniature army, well in file. Ballerinas,
corpulent cherubs, divinities, dreamy figures of girls with small flower baskets, young men playing
music, children. All there is, what the traditional porcelain manufactory produces ever since, is to be
found in this precious ensemble. For some months we have bought on eBay from all over the world
these figurines. The objects from America, Australia and Europe had been sent to us from their
previous owners by post. Every single figure has its own story, unknown to us. The little puppet
might have stood on a TV in Italy, on a shelf in Bonn or on a side table in Vermont. As silent
witnesses they had watched the life of their previous owner. All figures made, more or less well
wrapped, a long journey and all arrived unbroken to us. Often we received with the figures small
letters and sweets. In one package we found next to a porcelain elf a package of crisps and little
animals made of white chocolate. Maybe a gift for the elf on her long journey? After all figures
arrived safely at our place we started work. With a special diamond drill we bored out the eyes of
the angels and all other creatures. The applied sensitiveness is diametrically opposed to the drastic
result of our enterprise. Black holes are embellishing the little faces. Where eyes looked lovely into
the world, yawn now the equal holes, staring at the viewer. Sweet bibelot has been transformed
through a minimal intervention into an impressive procession.
wiedemann/mettler, Zurich in February 2013
Since 2002 Pascale Wiedemann (*1966) and Daniel Mettler (*1965) work together consequently
towards an oeuvre, that is in its complexity and diversity out of common.