Endre Tót: Ich bin sehr glücklich und du?

Endre Tót: Ich bin sehr glücklich und du?

Niebuhrstr. 5 Berlin, 10629, Germany Friday, January 19, 2024–Sunday, April 28, 2024


you like rain? so why do you use umbrellas? by endre tót

Endre Tót

You like rain? So why do you use umbrellas?, 1974

8,000 EUR

if it is raining and you look on the left: left rain if to the right, then of course right rain by endre tót

Endre Tót

If it is raining and you look on the left: left rain if to the right, then of course right rain, 1974

8,000 EUR

ein jedes loch in kassel  by endre tót

Endre Tót

Ein jedes Loch in Kassel , 1984

1,200 EUR

i’m glad if i can stamp by endre tót

Endre Tót

I’M GLAD IF I CAN STAMP, 1976

1,200 EUR

dirty rains by endre tót

Endre Tót

DIRTY RAINS

600 EUR

i am glad if i can write with my left hand by endre tót

Endre Tót

I am glad if I can write with my left hand, 1973–1975

4,500 EUR

i am glad if i can xeros by endre tót

Endre Tót

I AM GLAD IF I CAN XEROS, 1975

4,000 EUR

i’m glad if i can type zeros by endre tót

Endre Tót

I’m glad if I can type zeros, 1974

4,500 EUR

Ich kann es nicht oft genug betonen, dass die Post  die einzige Möglichkeit war, aus der Isolation auszubrechen… Durch die  Post war ich schnell in die internationale Avantgarde integriert. Die  Mail Art ist das merkwürdigste Kapitel der Kunstgeschichte: Die  Künstler hatten sich gegenseitig wunderbare Werke absolut selbstlos  zugeschickt… Der Postverkehr, trotz Diktatur, funktionierte  überraschend einwandfrei. „(„Endre Tót, in: Interview von Marta Smolinska für das Kunstmagazin artluk, 1/2011) 

Der Ursprung dieser Ausstellung ist die Korrespondenz (ca. 60  Dokumente) des ungarischen Künstlers Endre Tót (geb. 1938 in Sümeg), die  er aus Budapest, Bukarest, Berlin, Köln und London an den Verleger  Thomas Howeg in Zürich geschickt hat. Diese Korrespondenzquelle  erstreckt sich vom 5. Januar 1974 bis zum 23. Juni 1980, mit Ausnahme  eines letzten Briefes aus dem Jahr 1989. 

Seine Briefe, die nur in eine Richtung gehen – wir besitzen keine  Briefe von Thomas Howeg an den Künstler – sind Zeugnisse von Tóts  kreativem Prozess im Kontext der Isolation und der Einschränkungen, die  das diktatorische Regime in Ungarn verhängte. Einerseits scheinen sie  Tóts künstlerische Aktivitäten umfassend darzustellen: seine Arbeit als  Künstlerbuchautor, seine Ausstellungen, seine Beziehungen zu Künstlern und Kunsttheoretikern in den westlichen Ländern. Andererseits zeigen sie  die täglichen Schwierigkeiten und das wachsende Gefühl der Isolation,  das er und seine Frau Herta Paraschin empfanden. Die Präsenz von Herta Paraschin in diesen Briefen ist von entscheidender Bedeutung. Endre Tót diktierte ihr den Text auf Ungarisch, sie transkribierte ihn ins  Deutsche. Herta Paraschin ist die lebenswichtige Vermittlerin bei der  Ausarbeitung dieser Kommunikation, die die Verbreitung und Kenntnis der  Kunst von Endre Tót durch die Mail Art ermöglichen wird. Außerdem sind  sie Co-Signatoren aller Briefe, die an Howeg verfasst wurden. 

Was den Aufbau dieses internationalen Netzwerks betrifft, liefern die  Briefe reichhaltige Informationen über die Reisen des Künstlers und  seine Begegnungen mit Personen, die für die Produktion, Verbreitung,  Anerkennung und kritische Rezeption des Werks entscheidend sind. So  erwähnt er seine Reise nach Genf im Jahr 1976, bei der er auf Einladung  von John M. Armleder, einem der drei Gründer der Galerie Ecart, seine  erste „street action“ (TOTalJOYS) in einem westlichen Land durchführte.  Letztgenannte hatte bereits 1974 eine Einzelausstellung des Künstlers,  der nicht anwesend sein konnte, organisiert. Tót lobte auch seine  Begegnung mit der Künstlerin Cosey Fanni Tutti, Mitglied der Gruppe COUM  Transmission (mit Genesis P-Orridge), in London im selben Jahr. 

Man erfährt auch von den Schwierigkeiten, die der Künstler bei seinen  Reisen und der Erlangung von Ausreisegenehmigungen hatte (als er 1978  das DAAD-Stipendium in Berlin erhielt). Um eine Reihe von Werken für  eine Ausstellung im Ausland zu schicken, fuhr er unauffällig mit dem Zug  nach Belgrad und konnte von dort aus seine Arbeit schicken (z.B. für  seine Ausstellung in Israel 1975). Es wird auch erwähnt, dass es  unmöglich war, einige seiner berühmten Stempel in Ungarn herzustellen.  Sie wurden in Holland mit der Hilfe von Harry Ruhé, dem Gründer der  Galerie A in Amsterdam, hergestellt. 

Wenn wir auf die Genealogie der Einschränkungen und Unmöglichkeiten,  die Tót erlebte, zurückblicken, sind sie der Grund dafür, dass der  Künstler die Malerei radikal aufgab. Sein malerischer Ausdruck, der  damals von den Erfahrungen der amerikanischen informellen Maler  beeinflusst war, entsprach nicht den ästhetischen Kriterien der  ungarischen Staatskunst. Mit diesen Einschränkungen, sparsamen Mitteln  und unbedeutenden Materialien wendete er sich mit Intelligenz,  Entschlossenheit und Ironie der Mail Art zu und begab sich notgedrungen  auf den Weg der amerikanischen Konzeptkunst. 

Seine Briefe zeigen uns genau sieben Schlüsseljahre intensiver  künstlerischer Aktivität, in denen er sein Vokabular entwickelte. Wir  sehen, wie er seine Postkarten, Bücher und Ausstellungen mit Virtuosität  und scharfer Intelligenz entwirft und schnell Assoziationen erzeugt, die sich wie Slogans lesen (z.B. eine Postkarte von einer Leninstatue,  die mit „0“ Nullen überzogen ist und auf die der Satz „zer0s make me  calm“ gestempelt ist). Wir verfolgen in diesen Briefen den Verlauf der  Schaffung eines schlagkräftigen Systems von Zeichen und Schriften, die  mittlerweile emblematisch für Tóts Arbeit sind. 

Wir haben das Glück, ein sehr schönes Beispiel für die Präzision, mit  der der Künstler arbeitete, zeigen zu können: die Originalvorlage des  Buches Nullified Dialogues, das vom Howeg-Verlag veröffentlicht wurde,  und die Briefe, die die detaillierte Ausarbeitung des Buches  beschreiben. 

Künstlerbücher spielen in Tóts Werk eine wichtige Rolle. Zusammen mit  den Informationen aus den Briefen an Howeg, sind sie eine  unverzichtbare Quelle, um sich dem Ansatz des Künstlers zu nähern und  ihn zu verstehen. Wir werden in dieser Ausstellung keine Gemälde oder  Fotografien zeigen, da sie in der Korrespondenz keine Erwähnung finden.  Wir wollen uns auf die konzeptionelle Entstehung und den kreativen  Prozess eines Künstlers konzentrieren, der zu Hause arbeitete, in einer immer stärkeren Isolation in seinem eigenen Land. Denn je mehr Endre Tót  kommunizierte und sein Netzwerk mit Künstlern aus dem Westen ausbaute,  desto weiter entfernte er sich von der ungarischen Avantgarde-Szene*.  Mit wenigen Mitteln, aus Zwang, aber auch aus eigener Entscheidung, musste Tót eine Kunst der Ellipse entwickeln, damit sie in einen  einfachen Umschlag passte. Während das Werk der Mail Art das Netzwerk  war, das die Künstler untereinander knüpften, verlieh Tót seinen  Sendungen den Status des Kunstwerks. Hier finden wir die formalen  Anforderungen eines Malers. Er komponiert mit dem Zwang und der  Verhinderung. Diese Spannung zwischen der visuellen Kraft der Botschaft  und dem so reduzierten Material, das ihr Vehikel ist, war die  Voraussetzung für die Entstehung des Ansatzes eines Künstlers, der im  Westen als einer der wichtigsten Avantgardefiguren der Ostblockländer galt. 

Die Ausstellung möchte diese konzeptuelle, technische und ästhetische  Dynamik, in der Endre Tót sein Werk entwickelte, dokumentieren. So wird  Tóts Briefwechsel mit Howeg mit Büchern, Modellen, Postkarten,  „Klischeedrucke“ und grafischen Werken illustriert. Diese Werke werden  von einem Kommentar begleitet, um ein besseres Verständnis der Arbeit  von Endre Tót zu ermöglichen. 

Bücher und Briefe sind notwendiges Material, um die Reflexion und die  Forschung über seine Kunst zu nähren. Aus diesem Grund haben wir jedes  Buch Seite für Seite digitalisiert, damit der Besucher oder Forscher den  Inhalt in dem Katalog, der zu diesem Anlass herausgegeben wird,  entdecken kann. Dasselbe gilt für die Briefe, deren Inhalt, ob  handschriftlich oder nicht, transkribiert wird. Die zum Großteil auf  Deutsch verfasste Korrespondenz wird ins Ungarische, Französische und  Englische übersetzt. Emmanuelle Rapin und Raphaël Levy werden auch jedes  Buch und Werk, das in der Ausstellung gezeigt wird, mit den Passagen des Briefes, in denen sie erwähnt werden, verknüpft haben.
Dank dieser umfangreichen Dokumentation arbeiten wir an der Erstellung  eines Buches, das einem Catalogue Raisonné aller Künstlerbücher von  Endre Tót bis 1989 nahekommt. 

Über die so klangvollen Botschaften der „0“ hinaus möchten wir den  Bedeutungsreichtum und die große visuelle Poesie hervorheben, die von  allen seinen Werken ausgeht. Sie lassen sich wie visuelle Verse oder  Aphorismen lesen, die von großer Klarheit und Großzügigkeit sind. Es  gibt keine Entsagung, sondern eine Einladung zum Denken. 

*Siehe: Géza Perneczky, „Die Mail Art Bewegung in Ungarn, Es lebe die  Kulturpfuschi!“ in: Mail Art – Osteuropa im internationalen Netzwerk  (Ausst.-Kat.), Schwerin 1996.