The Crystal World: To J.G. Ballard

The Crystal World: To J.G. Ballard

Charlottenstrasse 13 Berlin, Germany Friday, November 12, 2010–Saturday, January 15, 2011

THE CRYSTAL WORLD: TO J.G. BALLARD

Jim Butler – Lawrence Carroll – Tony Cragg – Sean Dawson – Dennis Hollingsworth – Des Hughes – Raffi Kalenderian – Lutz/Guggisberg – Tatsuo Miyajima – Wilhelm Mundt – Bettina Pousttchi – Yutaka Sone – Yutaka Takanashi – Clare Woods

ERÖFFNUNG: Freitag, 12. November 2010, 19 – 21 Uhr
AUSSTELLUNG: 12. November 2010 – 15. Januar 2011

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kuratiert von André Buchmann

Der britische Schriftsteller J.G. Ballard (1930 – 2009) ist Verfasser großartiger Science Fiction Romane wie The Drowned World, Crash oder Concrete Island. Viele seiner Texte entwerfen Weltuntergangsszenarien, wo nicht die Ursachen, sondern die Ereignisse und die Degeneration der Gesellschaft angesichts des Untergangs benannt werden.
Ein weitaus weniger düsteres Bild zeichnet J.G. Ballard in seinem Roman The Crystal World von 1966. Eine rätselhafte und dramatische biologische Veränderung verwandelt Pflanzen, Tiere und Menschen im Dschungel Gabons in leuchtende kristalline Strukturen, wobei die Transformation der Zeit durch die Kristalle das eigentliche Thema ist. Eine der Romanfiguren wählt absichtlich das Stehenbleiben und Kristallisieren, um dem Weiterleben und Sterben an einer unheilbaren Krankheit zu entgehen.
Die Ausstellung versammelt von 15 Künstlern Werke, die zu diesem Roman in Bezug stehen.
Eine ungewöhnliche Verbidung zur Literatur haben die seit 1996 im Duo arbeitenden Künstler Lutz/Guggisberg mit ihrer imaginären Bibliothek. Schon beim Lesen der Titel, Namen der Autoren und Verlage ihrer Bücher stellen wir uns eine Geschichte vor. Bei Lutz/Guggisbergs Büchern entsteht die Handlung in der Imagination des Betrachters. Ihre Bücher kann man nicht lesen, sie vertrauen auf die Kraft der Vorstellung.
The Worm Returns ist eine frühe Skulptur von Tony Cragg. Modelle eines Schwefel- Polyethylen und Alkoholmoleküls verhelfen als wissenschaftliches Anschauungsmaterial einer Welt zur Sichtbarkeit, die sich ansonsten der visuellen Erkenntnis entzieht. Schaffen diese Modelle dadurch ein tieferes Verständnis der Dinge und inneren Strukturen unserer Lebenswelt? Schwefelmoleküle etwa können sich zu verschiedenen Kristallstrukturen zusammenlagern. Dr. Sanders, der Protagonist im Roman, ist Wissenschaftler und sucht zunächst nach rationalen Erklärungen für den sich immer weiter ausbreitenden kristallisierenden und erstarrenden Dschungel.
Wilhelm Mundts transparente Glaskugel könnte ebenfalls ein Erklärungsmodell für die Kristallwelt sein. Eine massive Schicht aus transparentem Glas umschließt wie ein Schutzpanzer einen roten Klumpen Material. Ist es ein Meteorit, der Hinweise geben kann auf die Entstehungsgeschichte unserer Erde mit ihrem immer weiter kristallisierenden inneren Erdkern aus Eisen und Nickel oder ein biologischer Erreger als die Ursache für die aufgelöste Zeit? Auch die beiden Skulpturen von Des Hughes muten an wie Bruchstücke eines Meteoriten. Ihre matte Oberfläche kontrastiert mit goldenen Intarsien einer unbekannten edlen Materialität oder Kultur. Der kristallisierte Dschungel wird zum militärischen Sperrgebiet erklärt, bleibt aber dennoch unter Risiko zugänglich. Die brüchigen und permeablen Grenzen, auch in politischer, gesellschaftlicher und persönlicher Hinsicht verstanden, spiegeln sich in Bettina Pousttchi’s Skulptur Cleared aus transparentem Glas. Die Skulptur wurde 2009 auf der Biennale Venedig präsentiert.
Das Fragile der Arbeit von Bettina Pousttchi führt Tatsuo Miyajima in seinem Werk zu Zeit, Raum und den Primärfarben weiter, aus denen jede andere Farbe erzeugt werden kann. Diamond in You verweist auf die persönliche Veränderung der Protagonisten in The Crystal World. Dr. Sanders findet am Ende zwar zu sich selbst, aber er wählt den Weg in den kristallisierten, leuchtenden Dschungel und damit seinen Tod, gleich der Leerstelle in den zyklischen Zahlenreihen von Tatsuo Miyajima.
In behutsamem Gang auf Zehenspitzen löst sich das Transparent Girl von Jim Butler in weißem Licht auf. Der weibliche Körper, ist es Suzanne Clair?, ist nur noch eine zerbrechliche Hülle, die bereits angefangen hat, in eine kristalline Form zu mutieren. Als Pendant dazu zeigt das Gemälde von Raffi Kalenderian einen männlichen Protagonisten mit zwei Augenpaaren, die für das innere und das äußere Sehen stehen. Vermag er, das Unbegreifbare zu erkennen? Lawrence Carroll’s Snowballs erinnern an die von Händlern aus dem erstarrten Dschungel entwendeten, mit funkelnden Kristallen überzogenen Reliquien, die sie auf dem Markt von Port Matarre feil bieten. Yutaka Sone entwirft in seinen Fotos und Zeichnungen von Schneekristallen einen analytischen Blick auf die inneren Strukturen der glitzernden Pracht, die Yutaka Takanashi im Tokio der 70er Jahre findet. Seine Fotos aus Towards the City zeigen die Megastadt in all ihren Facetten. Sie sind der Höhepunkt der Provoke Bewegung, die Ende der 60er und in den frühen 70er Jahren in ihrer rauen, flüchtigen und expressiven Art die japanische Fotografie revolutioniert hat.
In der Popmusik war J.G. Ballard öfters eine Quelle der Inspiration, beispielsweise bei Ultravox und Ian Curtis von Joy Division. Sean Dawson bezieht immer wieder Titel seiner Gemälde auf die Romane von J.G. Ballard. Seine dichten malerischen Kompositionen entsprechen der dichten Sprache Ballard’s, womit sie durchaus „ballardian“ sind. Den Dschungel mit seiner prismatischen Farbigkeit, dem Flimmern des Lichtes und dem Fliessen der Formen entwirft Clare Woods in ihren Aquarellen, wie auch die Bilder von Dennis Hollingsworth an mikrobiologische oder pflanzliche Lebenswelten denken lassen, denen eine ambivalente Schönheit inne wohnt.
Ich möchte mich bei allen Künstlern für Ihre Zusage, Unterstützung und Beteiligung mit ihren Arbeiten für das Zustandekommen dieser Ausstellung herzlich bedanken. In zahlreichen Gesprächen habe ich verblüffende Parallelen zwischen Werken der eingeladenen Künstler und dem Roman von J.G. Ballard gefunden.
A.B., Oktober 2010

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Curated by André Buchmann

The British writer J. G. Ballard (1930–2009) is the author of such great science fiction novels as The Drowned World, Crash, and Concrete Island. Many of his texts depict scenarios of the end of the world that do not describe the causes but only the events and the degeneration of society when faced with its end.
J. G. Ballard sketches a far less gloomy picture in his 1966 novel The Crystal World. A mysterious and dramatic biological change transforms plants, animals, and people in the jungle of Gabon into glowing crystalline structures; the novel’s real theme, however, is how the crystals transform time. One of the characters in the novel deliberately chooses to remain behind and crystallize in order to survive, avoiding death from an incurable disease.
The exhibition brings together works by fifteen artists that are related in some way to this novel.
The artists Lutz/Guggisberg, who since 1996 have been working as a duo, have an unusual connection to literature through their imaginary library. As soon as we read the titles, authors’ names, and publishers of their books, we imagine a story. With Lutz/Guggisberg’s books, the plot is created in the viewer’s imagination. Their books cannot be read; they trust in the power of the imagination.
The Worm Returns is an early sculpture by Tony Cragg. As scientific visual aids, models of sulfur, polyethylene, and alcohol molecules help make a world visible that would otherwise escape visual perception. Do these models thereby result in a deeper understanding of our world’s objects and their inner structures? Sulfur molecules, for example, can form various crystal structures. Dr. Sanders, the protagonist of Ballard’s novel, is a scientist, and initially he seeks rational explanations for the continued crystallization and solidification of the jungle.
Wilhelm Mundt’s transparent glass sphere could also be an explanatory model for the crystal world. A massive layer of transparent glass surrounds like protective armor a red clump of material. Is it a meteorite providing clues about the origins of our earth and its ever crystallizing inner core of iron and nickel, or is it a biological pathogen that has caused the breakdown of time? The two sculptures by Des Hughes also seem like fragments of a meteorite. Their matte surfaces contrast with golden intarsia from an unknown precious material or culture.
The crystallized jungle is declared a military restricted area, though it remains accessible at your own risk. The fragile and porous borders—understood in a political, social, and personal sense as well—are reflected in Bettina Pousttchi’s sculpture Cleared of transparent glass. The sculpture was presented at the Venice Biennale in 2009.
The fragile aspect of Bettina Pousttchi’s work is continued by Tatsuo Miyajima in his work about time, space, and primary colors (from which every other color can be produced). Diamond in You refers to the personal change in the protagonists of The Crystal World. In the end, Dr. Sanders does find himself, but he chooses the path into the crystallized, glowing jungle, and hence his death, like the blank space in Tatsuo Miyajima’s cyclical series of numbers. Cautiously walking on tiptoes, the figure in Transparent Girl by Jim Butler dissolves in white light. The female body—is it Suzanne Clair of the novel?—is now only a fragile shell that has already begun to mutate into a crystalline form. As a pendant to it, a painting by Raffi Kalenderian depicts a male protagonist with two pairs of eyes, representing inner and outer vision. Can he perceive the inconceivable?
Lawrence Carroll’s Snowballs recall the reliquaries covered with shimmering crystals that dealers pilfered from the solidified jungle to sell at the market in Port Matarre. In his photographs and drawings of snowflake crystals, Yutaka Sone turns an analytical eye on the inner structures of the glittering splendor that Yutaka Takanashi finds in 1970s Tokyo. His photographs from Towards the City reveal the megacity in all its facets. They are the summit of the Provoke movement, which in the late 1960s and early 1970s revolutionized Japanese photography with its raw, ephemeral, and expression manner.
J. G. Ballard was frequently a source of inspiration for pop musicians, such as Ultravox and Ian Curtis of Joy Division. Sean Dawson often refers to the novels of J. G. Ballard in the titles of his paintings. His dense, painterly compositions correspond to Ballard’s own dense language, making them thoroughly “Ballardian.” The jungle, with its prismatic colors, flickering lights, and flowing forms, is captured by Clare Woods in her watercolors and in the paintings of Dennis Hollingsworth, which recall microbiological and vegetal worlds with an inherent, ambiguous beauty.
I would like to use this opportunity to thank sincerely all the artists for agreeing to participate, supporting, and providing works for this exhibition. In numerous conversations, I have found astonishing parallels between the works of the artists invited and J. G. Ballard’s novel.
A.B., October 2010