Zur Eröffnung am Freitag, den 1. September 2006 um 18.00 Uhr
laden wir Sie und Ihre Freunde herzlich ein.
Es spricht: Dr. Uwe Westfehling, Köln
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog mit 76 Seiten
und 61 farbigen Abbildungen zum Preis von Euro 10.
"Vögel – die geflügelte Poesie"
Der Vogel bei Georges Braque und Max Ernst
Eine Gegenüberstellung ausgesuchter Originalgraphiken
"Ich zeichne nur noch Vögel, nachdem mich meine Stilleben vielleicht zu lange auf der Erde festgehalten haben." Georges Braque
Fasziniert von einem Erlebnis im Vogelschutzgebiet der Camargue im Jahr 1955 wird der Vogel für Georges Braque zum Sinnbild von Freiheit und Harmonie.
"Ich zeichne nur noch Vögel, nachdem mich meine Stilleben vielleicht zu lange auf der Erde festgehalten haben." "Ich male und zeichne nur Vögel, und immer dieselben, nicht Vögel, wie ich sie in der Natur vor mir sehe, sondern wie sie sich unter meiner Hand auf der Leinwand oder dem Papier bilden ." Die in der Ausstellung zusammengetragenen Originalgraphiken veranschaulichen vortrefflich, wie der Künstler die Darstellung des Vogels in immer neuen Abwandlungen und durch den sparsamen Einsatz der Mittel zur vollendeten Schönheit und Harmonie führt.
Georges Braque (1882–1963) gehört zu den großen und bedeutenden Künstler des 20. Jahrhunderts und hinterlässt ein eindruckvolles Œuvre. Als Zeitgenosse und Weggefährte von Pablo Picasso gilt er mit diesem als Schöpfer des Kubismus und damit als Wegbereiter der Moderne. Das Werk jenseits des Kubismus wird vor allem in den 50er und 60er Jahren geprägt.
Seine Graphiken haben eine Besonderheit. "Es macht mir unsägliche Lust, auf dem Gebiete der Graphik nach einer neuen Methode, nach einer neuen Technik zu suchen, um das, was ich fühle, genau ausdrücken zu können. Dabei kommt mir das Material von überall her zu Hilfe. ... Meine Absicht ist, auch ein graphisches Blatt in einen Gegenstand zu verwandeln, der stoffliche Eigenschaft besitzt und das Gefühl der Stofflichkeit anspricht. Ich fühle, dass ich mich darin verwirklichen kann."
Neben seinen Gemälden zählt eine Reihe herausragender Graphiken zu den Höhepunkten seines Schaffens, in denen er immer wieder bedeutende Werke der Literatur illustriert. Auf Anregung der Direktoren François und Janine Crémieux des Verlagshauses "Au Vent d'Arles" entstand 1962 – wenige Monate vor seinem Tod - gemeinsam mit Saint-John Perse (1887–1975) das Album "L’ordre des oiseaux". "Für den hohen Flug und die bildschöpferischen Phantasien seiner Dichtung, die die Zeitlage visionär widerspiegelt" erhielt Saint-John Perse 1960 den Nobelpreis für Literatur. Georges Braque verwendete auf das Wesentliche reduzierte Formen, um die Texte von Saint-John Perse zu versinnbildlichen.
Das mit 12 Farbradierungen illustrierte Buch "L’ordre des oiseaux" (mit einer zusätzlichen Suite der Radierungen jeweils signiert und numeriert) gehört wie die Farblithographie "L’oiseau dans le feuillage" von 1961 und "Oiseau traversant un nuage" von 1957 zu den Höhepunkten der Auss tellung.
Weiteres Glanzlicht ist der "Oiseau noir sur fond vert", der in seiner Reduziertheit und dem Verzicht auf alles Beschreibende und Überflüssige von hoher Ausdruckskraft und bestes Beispiel für die Bedeutung des späten graphischen Œuvres von Georges Braque ist. Er ist Titel des Schutzumschlages des Werkverzeichnisses der Graphiken Braques von Dora Vallier. Er gehört zu den Hauptblättern der illustrierten Serie "Si je mourais là-bas" zum Gedicht Guillaume Apollinaires.
"Am 2. April 1891, um 9.45 Uhr, hatte Max Ernst seinen ersten Kontakt mit der fühlbaren Welt, als er aus einem Ei schlüpfte, das seine Mutter in eines Adlers Nest gelegt hatte, und welches der Vogel dort sieben Jahre lang ausgebrütet hatte. Dies ereignete sich in Brühl, sechs Meilen südl ich von Köln. Hier wuchs Max auf und wurde ein hübsches Kind. In seiner Jugend gab's einige dramatische Zwischenfälle, jedoch im großen und ganzen ist sie nicht als unglücklich zu bezeichnen." Max Ernst
Im gesamten Werk des großen Dadaisten und Surrealisten Max Ernst (1891–1976) begegnen uns seine Mischwesen und immer wieder die Vogelnatur. "Ein höchst sonderbares Vogelzeug spielt die große Rolle" (Max Osborn). Der Vogelgestalt geht im Werk eine reiche Verwendung von Vogeldarstellungen vo raus. Max Ernst schöpft dabei aus dem reichen Fundus seiner ikonografischen Kenntnisse. "Und er hat dieses Wissen immer wieder bezüglich-anzüglich eingesetzt". (Werner Spies)
Menschen mit Vogelköpfen gehören zu den ältesten mythologischen Darstellungen. Schamanen mit Vogelköpfen erscheinen auf den Höhlenwänden von Lescaux, Vogelmenschen in den kultischen Darstellungen der Osterinseln, Ozeaniens, Afrikas, Nord- und Südamerikas. Zarte Vogelseelen auf den Grabdenkmälern im alten Ägypten, beflügelte Ungeheuer in babylonischen Mythen, Sirenen, Greife, Phönixe: Die vieldeutige und schillernde Welt der Vögel bevölkert die Mythologie. Das Motiv des Vogels, der in zahlreichen Mythologien als Symbolisierung der Seele durch den Vogel auftritt, wurde in der Religionswisse nschaft des beginnenden 20. Jahrhunderts ausführlich diskutiert. Bei C.G. Jung, dessen Schriften Max Ernst kannte, ist der Vogel ein Sinnbild des Wünschens, auch im sexuellen Sinne. Auf dem Wunsch, dem Tod durch Unsterblichkeit zu entgehen, gründet sich dann das Motiv des mythischen Seelenvogels: D a der Wunsch unerfüllbar ist, bleibt er gleichsam in der Schwebe, "daher die Seelen Vögel sind".
Max Ernst instrumentalisiert das Vogelwesen, indem er es verschiedene Rollen spielen lässt. Dabei bedient er sich nicht nur der psychoanalytischen Erkenntnisse Freuds und Jungs von der Aufspaltung der Persönlichkeit. Er verarbeitet auch das Diktum des von den Surrealisten als Gründervater betrac hteten Arthur Rimbaud "Ich ist ein anderer."
Bei Max Ernst wird der Mensch durch etwas anderes, ihn Vertretendes wiedergegeben, am häufigsten durch einen Vogel. Mit der Form wird nicht eine Erscheinungsform sondern eine Idee dargestellt. Seine anthropomorphen Konstruktionen und Gestalten sind Präsentationsform, Allegorie, Reflexionsfigur, Alter Ego, Identifikationsfigur, Über-Ich, höhere Instanz, apokalyptisches Wesen.
Die Identifikation mit Loplop, dem Vogelwesen, trägt autobiographische Züge. Der Mythos von Loplop alias Hornebom, oder umgekehrt, beginnt mit der vorgeburtlichen Existenz des Malers, wie Max Ernst selbst berichtet. Aber dennoch macht er den Versuch zunichte, seinen Bildern eine eindeutige Aussa ge zuzuschreiben. Damit verneinte er auch eindringlich, seine Werke als Faktoren des eigenen Unbewussten, eigener Verdrängung zu verstehen. (Werner Spies)
Max Ernst war in den unterschiedlichen Gattungen Malerei, Zeichnung, Collage, Frottage, Graphik und Skulptur tätig. Seine Vielseitigkeit und sein Erfindungsreichtum zeigen sich in der Vielzahl der technischen Mittel.
Zu den in der Ausstellung versammelten Höhepunkten gehören die farbigen Radierungen zu "Oiseaux en péril", die Max Ernst ein Jahr vor seinem Tod als Illustrationen zu Gedichten von Dorothea Tanning – seiner letzten Frau – schuf. Dorothea Tanning schrieb acht Gedichte in französischer Sprache, die inzwischen in deutscher Sprache vorliegen. Max Ernst steuerte acht Vignetten sowie die Radierungen bei, die in der Galerie zu sehen sind. "Während in den ersten sieben Blättern jeweils Vogelpaare zu sehen sind, taucht im letzten Blatt ein einzelner, junger Vogel auf, der mit großen Au gen in die Zukunft blickt: Freiheit, aber auch der Tod stehen ihm bevor. (Jürgen Pech) Die von Ernst übermalte Graphik der Vogeltrinität "A l’interieur de la vue: L’œuf" führt das Thema der Vogelfamilie vor. Bei der Radierung "Mathernité" (1950) entwickelt er "Komposit-Figuren", di e seinen Maskendarstellungen jener Zeit sehr ähnlich sind. Mit dem Linienwesen "Oiseau mère (1972) greift er das Motiv der Vogelfamilie noch einmal auf.
Eine Besonderheit der Ausstellung bildet der Zustandsdruck zu "Das Schnabelpaar" von 1953. "Das Gedicht verknüpft im Sprachton der Kölner Dada-Zeit bittere Vergangenheit und mögliche Zukunft: "Und wenn sie’s dann wieder regnen lassen über europa, über kafkasien und kafamerika ..." (Jürgen Pech). Mit der Veröffentlichung dieses deutschsprachigen Gedichts beweist Max Ernst seine Doppelbedeutung als bildender Künstler und schreibender Poet.
Georges Braques und Max Ernsts Vögel sind von ganz unterschiedlicher Art. Gemeinsam ist ihnen, dass nichts bleibt als der Geist der Form und nicht die Interpretation der realen Form.