Für ihre erste Einzelausstellung in der Galerie m hat die Bildhauerin Franka Hörnschemeyer „Axiom 420“, ein komplexes ortsspezifisches Werk konzipiert und realisiert. Geometrische Skulpturen aus Schalplatten und eine architektonische Konstruktion aus Rasterelementen werden über ein mehrfach umgelenktes Zugseil miteinander verbunden und getragen. Eine Soundarbeit durchdringt die Ausstellungsräume. Zudem sind ausgewählte frühe Wandobjekte der 90er Jahre zu sehen.
Noch nie sind die Räume der Galerie m in so radikaler Weise zum Bestandteil eines Werkes geworden. Ebenso wie die Wände, die Raumvolumina und die Proportionen sind die Figuren aus Schalplatten, der Rasterraum und das verbindende und tragende Ankerseil formbildend für „Axiom 420“.
Die Figuren, die den Anfangs- bzw. Endpunkt des Seils markieren, bestehen aus mehreren Holzquadern – wie die Oberflächengestaltung und die Abriebspuren zeigen, sind es wiederverwendete Schalplatten der Firma Paschal. Die einzelnen Elemente sind über ein durchgehendes Seil miteinander verbunden und pendeln aneinander aufgereiht von der Decke herab, wobei der Boden abschließend leicht gestreift wird. Die Quader berühren sich nur punktuell. Schwerelos, anmutig, nahezu tänzelnd erscheinen die Objekte, die je nach Perspektive mal kompakter und mal raumgreifender sind.
Diese Aufhebung von Masse und Gewicht lässt sich auch an der raumbildenden Konstruktion aus Rasterelementen beobachten. Das architektonische Gebilde mit seinen feinen Strukturelementen wirkt in seinem Aufbau transparent und modellhaft. Während seine Außenbegrenzung eine durchgehende Kontur aufweist, deuten offene Partien Variabilität und Flexibilität an.
Wie die beiden Holzfiguren wird auch diese Raumstruktur vom Seil so angehoben, dass nur noch eine Seite Kontakt zum Boden hat. Sowohl Figuren als auch Raumstruktur schweben und lasten zugleich. Sie scheinen wie in ihrer Bewegung angehalten, offensichtliche Schwere wird in Leichtigkeit umgewandelt.
Die enormen Kräfte, die Axiom 420 in Spannung versetzen, die Schwerkraft und Zugkraft offenbaren sich besonders im Ankerseil, das zugleich trägt und verbindet. Das Seil versetzt alle Elemente in ein sorgfältig ausbalanciertes, fragiles Gleichgewicht, das keinen Spielraum zulässt. Es stellt eine spannungsvolle, wechselseitige Abhängigkeit zwischen den Skulpturen, der Stahlkonstruktion und den Wänden der Galerie m her.
Durch das Seil „entfalten“ sich die Figuren, löst sich der Rasterraum vom Untergrund. Gleichzeitig gliedert es die Galerieräume, zerschneidet die vermeintliche Leere, schafft eine Komposition, innerhalb derer sich der Ausstellungsbesucher bewegt. So wird das Werk physisch erlebbar, wird es zu einer komplexen Raumskulptur, die im Gegensatz zu einer Figura Serpentinata nicht umrundet, sondern durchdrungen wird.
Eine Vielzahl an Diagonalen charakterisieren das Gesamterscheinungsbild, vor allem auch der Verlauf des Ankerseils, das die einzelnen plastischen und architektonischen Elemente miteinander verwebt, Linien in die Räume zeichnet, Öffnungen nutzt und Wände durchdringt. Hierbei folgt es ebenso physikalischen Gesetzen wie geometrischen Vorgaben, wie z.B. Winkelmaßen, die Franka Hörnschemeyer definiert hat. Resonanz und Reflexion spielen eine bestimmende Rolle für das Verständnis der dynamischen Linienführung, die alle Elemente in optische Bewegung versetzt und einen spezifischen Rhythmus verleiht.
Durch die Stille des Raumes dringen immer wieder einzelne Wörter, die von der Toninstallation „Feuerschutzgipskarton“ (2020) stammen und die Zuhörenden ein Stück weit durch die deutsche Baugeschichte begleiten. Hörnschemeyer selbst spricht den Text aus ihrem Künstlerbuch „GKF“ von 1992.
Eine Vielzahl an Wandobjekten sind außerdem in der Ausstellung zu sehen. Sie gehören zu den frühesten Werken von Franka Hörnschemeyer und zeugen von der intensiven und langjährigen Auseinandersetzung der Künstlerin mit Gipskarton – hierbei konzentriert sich ihr Interesse nicht nur auf die Materialität des Baustoffs, sondern auch und vor allem auf dessen Funktion als Informationsträger. Sie erforscht Beschaffenheit und Kontext und findet darin Hinweise auf kulturelle, gesellschaftliche sowie ökonomische Gegebenheiten. Fast möchte man sie als Bauarchäologin bezeichnen.
In ihren Werken – seien es Räume, Skulpturen oder Zeichnungen – bietet Franka Hörnschemeyer diverse Perspektiven und Blickwinkel an und bietet uns damit die Möglichkeit zur Erkundung von Material im weitesten Sinne.