Benedikte Bjerre, Anne-Lise Coste, Slawomir Elsner, Jonathan Monk Andreas Slominski und Sandra Vásquez de la Horra
Der Titel der Gruppenausstellung When the facts change, I change my mind könnte aktueller nicht sein: Wir leben in anspruchsvollen Zeiten, die eine grosse Flexibilität erfordern. Das Zitat des Ausstellungstitels wird dem englischen Wirtschaftstheoretiker John Maynard Keynes (1883-1946) zugeschrieben.
Auf unsere Anfrage für eine Arbeit antwortete der englische Konzeptkünstler Jonathan Monk (*1969 in Leicester, lebt in Berlin), dass er ein Werk beisteuern möchte, das seine Gemütslage bezüglich der Wirren des Brexit widerspiegelt. Der Ausstieg des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union nach Artikel 50 wäre zunächst genau auf das Eröffnungsdatum der Ausstellung gefallen, konnte nun aber von Theresa May auf den 12. April 2019 verschoben werden. Die Plastik von Monk ist eine humorvolle und deutliche Anspielung auf die Arbeit La main (1947) von Alberto Giacometti und auf eine Variante danach von Valentin Carron aus dem Jahr 2006. Der hagere Arm von Monk’s Plastik nach Giacometti zeigt mit Zeige- und Mittelfinger eine obszöne Geste, ein umgekehrtes Victory-Zeichen, das nichts anderes als F*** Off bedeutet. Dabei schwingt Monks Enttäuschung über den bevorstehenden Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU mit. Ergänzt wird die Plastik von Monk im ersten Raum mit zwei Bildern aus der fortlaufenden Serie der Holiday Paintings, die auf die Sehnsucht der Briten nach dem Europäischen Süden und dessen ganzjährlichen Invasion verweist.
Andreas Slominski (*1959 Meppen, lebt in Werder, nahe Berlin) ist 1987 in einer Einzelausstellung mit Arbeiten von Fallen hervorgetreten. Er ist in seiner bedeutenden künstlerischen Karriere den Einfällen des Geistes treu geblieben. Auf unsere Anfrage hat er für die Ausstellung eine Wieselwippbrettfalle geschickt. Bei diesen Objekten stellt sich stets die Frage, ob es sich um vorgefundene, realexistierende Fallen handelt, oder ob sie von Slominski erfunden und in dieser Form gebaut wurden. Neben der Falle hängt die Arbeit Blitzableiter von Albert Einsteins Sommerhaus in Caputh. Dabei handelt es sich um Slominskis Nachzeichnung auf Plastik des Blitzableiters am von Einstein mitentworfenen Haus nahe des Templiner Sees und der Stadt Potsdam, aber auch des aktuellen Wohn- und Arbeitsort von Slominski in Werder, wo sich Fuchs und Wiesel gute Nacht sagen. Slominski radelte von seinem Atelier aus mit einer Rolle Plastik zu Albert Einsteins Sommerhaus und hielt darauf den Blitzableiter fest. Für die Rahmung der Arbeit wurde ein Holz gewählt, das die Farbigkeit der nordamerikanischen Douglasie (Oregon Pine), die für die Außenverkleidung des aus einheimischer Kiefer gefertigten Holzhaus’ verwendet wurde, aufnimmt. Zwei Bleistiftzeichnungen von listigen Fallenstellern vervollständigen die Werkgruppe.
Die chilenische Künstlerin Sandra Vásquez de la Horra (*1967 Viña Del Mar, lebt in Berlin) baute für die Ausstellung ein Haus mit Zeichnungen. Seit 2014 entstehen Skulpturen aus Zeichnungen auf Papier und Bienenwachs. Diesen Häusern wohnt ein symbolischer Gehalt inne: Oft sind es Portale, die einen Übergang eine Verwandlung von einem Zustand in einem anderen wiedergeben. Das Haus Fata Morgana gibt Eindrücke von Reisen in fremde Länder wieder – von Metamorphosen des Daseins. Frauenfiguren verschmelzen mit ägyptischen Pyramiden, Segelschiffe überqueren eine Meerenge und Linienzeichnungen verdichten sich zu in der Landschaft liegenden Figuren. Vásquez de la Horra ergänzte das Haus mit in Bienenwachs getauchten Bleistift-Zeichnungen, in denen der Linie eine besondere Bedeutung zukommt.
Anne-Lise Coste (*1973 Marseille, lebt in Orthoux) künstlerische Arbeiten und ihre Person bestechen durch ihre Authentizität. Sie geht keine Kompromisse ein. In der Ausstellung zeigen wir eines ihrer charakteristischen, mit der Airbrush-Technik gesprayten Wort- und Zeichenbilder. In Jazz and Popo hält Coste mit knalligen Farben den Namen des Filmstars Jean Seberg, die im frühen Film von Jean-Luc Godard A bout de souffle (1960) die Herald Tribune verkauft, und der Jazzsängerinnen Billie Holiday und Nina Simone fest. Ausserdem finden sich der Name des berühmtesten Whistleblower Edward Snowden und die Bezeichnungen von Police und Power. Es ist erstaunlich mit welch grosser Leichtigkeit Coste die Namen ihrer Heldinnen und Helden mit dem Begriffen der Ordnungskräften mischt und zu einem bunten Bildgefüge bindet.
Nachdem Donald Trump Präsident der Vereinigten Staaten wurde und mit seiner Regierungsweise die schlimmsten Befürchtungen übertraf, entschied sich Benedikte Bjerre (*1987 Kopenhagen, lebt in Kopenhagen), die gedruckte Version der New York Times zu abonnieren. Bjerre stellt fest, “dass es fantastisch ist, die Printfassung zu lesen. Die Zeitungen türmen sich zu einem Stapel und es entsteht ein anderer Zeitbezug. Alle Bilder mischen sich in einer anderen Form. Sie sind nicht in einem rollenden Fluss, sondern in einer Überlagerung von allem.“ In der gedruckten Ausgabe finden sich zwei beworbene Produkte: Schmuck und exklusive Uhren. Die Bilder von Uhren haben es Bjerre angetan, da sie Zeit darstellen. Die exklusivste Sache, die wir heutzutage haben. “Es ist merkwürdig, dass Armbanduhren wiedergegeben sind. Es fühlt sich an, als wäre die Zeit angehalten. Online kriegt man den Eindruck, als würde nichts wirklich stoppen, aber auch als würde nichts vorwärtsgehen. Wie in einer Überlagerung. Wir können die Seite nicht wenden.“ Diese Erfahrung hält Bjerre in drei Collagen von Artikeln und Uhrenwerbungen vom gleichen Tag aus der N.Y. Times fest. Somit verdeutlichen diese Collagen, das wir in wechselnden Zeiten leben, und versichern uns, dass irgendwann auch die Zeit von Trump abgelaufen sein wird.
Als wir Slawomir Elsner (*1976 Wodzisław, Polen lebt in Berlin) um einen Beitrag für die Ausstellung baten, fiel sein Wahl ohne zögern auf die Sicht des World Trade Center von Midtown. Der Terroranschlag am 11. September 2001 hat die Welt verändert. Die Arbeit Sky over Downtown verweist auf dieses Datum und ist eine Ergänzung seiner von 2008 bis 2010 entstandenen, elfteiligen Serie von grossformatigen Farbstiftzeichnungen, die die Sicht im und aus dem Nachtklub Windows on the World im obersten Stockwerk einer der Zwillingstürme wiedergeben.