Und dann die Farben
In den Werken von Maja Rieder (*1979) steht die Auslotung der Diagonalen im Zentrum. Dabei entstehen sowohl verdichtete Liniennetze, die von einer Lebendigkeit zeugen, als auch geometrische Formen, denen eine kontemplative Ruhe zukommt. Komprimierte Farblachen stehen transparenten Flächen gegenüber, unter denen die vorausgehende Farbigkeit deutlich erkennbar wird. Aus Schwarz auf Gelb entsteht ein Olivgrün, während ein pinker Streifen erst in Kombination seine Strahlkraft entfaltet. Bei näherer Betrachtung lassen sich weiter Musterungen und Strukturen erkennen, womit unmittelbar auf die Unberechenbarkeit des nassen Farbauftrags auf Papier verwiesen wird. Es entstehen Assoziationen zur Frottage-Technik sowie zu organischen Strukturen wie Holzmusterungen oder textiles Gewebe. Ein Eindruck, der bestimmt durch die Direktheit der gewählten Präsentationsform verstärkt wird, die meist ohne Rahmung und schützendes Glas auskommt.
Maja Rieders Handlungen scheinen stets die gleichen zu sein: Am Anfang der Ausführung steht eine vorkonzipierte Handlungsstruktur, innerhalb derer sich die Künstlerin während des Malvorgangs bewegt und damit erneut an Freiheit gewinnt. Denn während des Tuns ist die Künstlerin nicht im Denken, sondern lässt das Bild entstehen, Farbe verlaufen, Papier durchtränken. Es ist ein Balanceakt zwischen Strategie und Kontrollverlust.
Davon zeugen auch die «Trommelbilder», die im Jahr 2022 für einen gemeinsam mit dem Musiker bespielten Raum in dessen Ausstellung «Fritz Hauser. Sweet Spot» im Kunsthausbaselland entstanden sind. Mit der Idee eines Resonanzkörpers, spannt die Künstlerin Papierbögen auf Holzkuben und löst diese nach dem Malen wieder davon ab. Bereits in vorherigen Arbeiten zieht Maja Rieder den Malgrund auf einen Keilrahmen auf, um diesen in einem zweiten Schritt davon zu befreien. In beiden Fällen wird die Prozesshaftigkeit betont, denn sowohl die Spuren des Trägers wie auch der Akt der Befreiung sind als Überraschungselemente Teil des Endprodukts.
Bestimmend in Maja Rieders Schaffensweise ist auch das Serielle. Die Blätter verbinden sich in Aufbau, Form, Material oder Farbe. Die Gruppierungen erscheinen wie Familien – sie zeugen von einem stetigen Austarieren und ins Gleichgewicht bringen von Harmonie und Irritation. Jedes einzelne Blatt trägt seinen eigenen Charakter und durchläuft davon ausgehend einen Ablösungsprozess. So kreiert die Künstlerin auch keinen Ausschuss – alle gewordenen Blätter sind gleichwertig und wichtig.
In den neusten Werken von Maja Rieder ist eine breitere, helle und bisweilen fast grelle Farbpalette besonders auffallend. Farben haben für die Künstlerin einen direkten Bezug zum Alltag, deren Vorlieben durch den aktuellen Zeitgeist beeinflusst wird. Farben können auch verführerisch wirken, wie uns die Serie mit dem Titel «Nazareth» vor Augen führt. Durch den bedeutungsschweren und geheimnisvoll anmutenden Titel können sich die vorwiegend gelb-roten Farbklänge auch zu Stimmungsbildern entwickeln, welche von Erzählungen oder Vorstellungen genährt werden – gar mit Hang zum Übersinnlichen. Insbesondere in Bezug auf die «Trommelbilder» aber, stellt sich die Frage, welche Farbtöne überhaupt nebeneinander angewendet werden können. Wie viel Buntheit ist möglich und kann zugelassen werden? An diesem Punkt wird der anfangs beschriebene Bildaufbau sowie das Arbeiten in Serien erneut relevant. So bedingt es jene Konzentration innerhalb der Flächen sowie eine Abweichung in der Wiederholung, um spannungsvolle Störfaktoren entstehen zu lassen, die es der Künstlerin wiederum erlauben, sich auf das Spiel mit Farbigkeit – und damit auf die Auslotung von gesellschaftlichen und kulturellen Konventionen – einzulassen. Indem wir uns dem Œuvre von Maja Rieder annehmen, können wir die Komplexität innerhalb der scheinbaren Einfachheit immer wieder aufs Neue entlarven und dabei Überraschendes entdecken.
Katrin Sperry, 2022